Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel
Das Heilige Jahr 2025 in Rom wird unter dem Leitwort „Pilger der Hoffnung“ stehen. Aber wie kann es zu einem konkreten Zeichen der Hoffnung werden? Wie kann es die Herzen der Menschen und das Leben des ganzen Gottesvolkes mit neuer Hoffnung erfüllen? Papst Franziskus sagt: Wir müssen uns spirituell darauf vorbereiten. Das Jubiläum wird uns nur in dem Maß bereichern, als wir uns im Geist der Erwartung auf Gott ausrichten. Und so hat er das Jahr 2024 als „Jahr des Gebetes“ ausgerufen – zur Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr.
Erzbischof Rino Fisichella, einer der beiden Pro-Präfekten des Dikasteriums für die Evangelisierung, erklärte: „Dies ist nicht ein Jahr, das von besonderen Initiativen geprägt ist. Vielmehr ist es eine privilegierte Zeit, um den Wert des Gebets und die Notwendigkeit des täglichen Gebets im christlichen Leben wiederzuentdecken, eine Zeit, um zu entdecken, wie man betet und vor allem, wie man die Menschen von heute im Zeitalter der digitalen Kultur zum Gebet erzieht, damit das Gebet wirksam und fruchtbar werden kann.“
Und er zitierte aus einem Brief, den Papst Franziskus bereits im Februar 2022 an ihn gerichtet hatte. Darin heißt es: „In dieser Zeit der Vorbereitung wünsche ich mir sehr, dass wir das Jahr 2024, das Jahr vor dem Jubiläumsereignis, einer großen ‚Symphonie‘ des Gebets widmen: Einem Gebet, das vor allem unser Verlangen erneuert, in der Gegenwart des Herrn zu sein, ihm zuzuhören und ihn anzubeten. Einem Gebet, das des Weiteren dazu dient, Gott für die vielen Gaben seiner Liebe uns gegenüber zu danken und sein Werk in der Schöpfung zu loben, das alle dazu aufruft, es zu achten und konkrete und verantwortungsvolle Schritte zu seinem Schutz zu unternehmen. Einem Gebet, das Ausdruck dafür ist, dass wir ,ein Herz und eine Seele‘ (vgl. Apg 4,32) sind, was sich dann in der Solidarität und im Teilen unseres täglichen Brotes niederschlägt. Einem Gebet, das es jedem Mann und jeder Frau in dieser Welt ermöglicht, sich an den einen Gott zu wenden und ihm anzuvertrauen, was in den Tiefen des eigenen Herzens verborgen liegt. Einem Gebet als Königsweg zur Heiligkeit, der es uns ermöglicht, auch inmitten der Aktivität kontemplativ zu sein. Mit einem Wort: Möge es ein intensives Jahr des Gebets werden, in dem sich die Herzen öffnen, um die Ausgießung der Gnade Gottes zu empfangen und das ‚Vater unser‘, das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, zum Lebensprogramm eines jeden seiner Jünger zu machen.“
Diesen Aufruf des Papstes haben wir als Titelthema gewählt und durch unterschiedliche Beiträge veranschaulicht: Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt ruft in seinem Interview zur Erneuerung des Familiengebets auf, vor allem aber erinnert er daran, dass Evangelisierung ohne Gebet schlichtweg undenkbar ist. Dieser Akzent, den auch Papst Franziskus hervorhebt, zieht sich dann wie ein roter Faden durch das ganze Heft, wie im Artikel von Giorgio Kardinal Marengo, dem Apostolischen Präfekten der Mongolei, der Gebet und Liturgie selbst als Wege der Mission herausstellt, oder auch im Lebensbild der sel. Pauline Marie Jaricot, einem Leuchtfeuer der Weltmission. Verschiedene Anregungen zum „Jahr des Gebets“ spiegeln sich in einer Gebetsinitiative über WhatsApp-Gruppen wider, die von Jugendpfarrer Daniel Rietzler vorgestellt wird und ein interessantes Beispiel der „Erziehung zum Gebet im Zeitalter der digitalen Kultur“ darstellt.
Liebe Leserinnen und Leser, wenn diese Ausgabe von „Kirche heute“ erscheint, findet in Erfurt gerade der 103. Deutsche Katholikentag statt, nämlich vom 29. Mai bis 2. Juni. Wir schließen dieses Großereignis in unser Gebet ein, damit es für die Evangelisierung unseres Landes fruchtbar wird. Dem Heft liegt wieder ein Überweisungsträger bei, mit dem wir an Ihre Großherzigkeit appellieren. Von Herzen sagen wir Ihnen Vergelt’s Gott für Ihre Spenden und wünschen Ihnen auf die Fürsprache der Gottesmutter einen gesegneten Herz-Jesu-Monat Juni.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
„Jahr des Gebetes“: Gebetspraxis in den Familien neu beleben
Bischof Lic. theol. Wolfgang Ipolt (geb. 1954) ist seit 2011 Oberhirte des Bistums Görlitz. Sein Wahlspruch lautet: „Odorem notitiae Christi manifestare – Den Duft der Erkenntnis Christi verbreiten“ (2 Kor 2,14). Dabei ist sein Schwerpunkt die Pastoraltheologie. Während seiner dreijährigen Tätigkeit als Subregens im Priesterseminar Erfurt erwarb er in diesem Fach das Lizentiat. Vor seiner Bischofsweihe war er sieben Jahre lang Regens, dazwischen 15 Jahre lang Dozent für Homiletik im Pastoralseminar. In der Deutschen Bischofskonferenz ist er Mitglied der Pastoralkommission und stellvertretender Vorsitzender der Kommission Weltkirche. Am „Adoratio-Kongress“ in Altötting vom 14. bis 16. Juni 2024 wirkt er selbst mit. Dessen Bedeutung sieht er vor allem darin, dass „Gebet und Anbetung mit der Wortverkündigung verbunden werden“. Außerdem geht er im Interview mit „Kirche heute“ auf das „Jahr des Gebetes“ ein, das Papst Franziskus als Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025 ausgerufen hat. Bischof Ipolt gibt dazu wertvolle Impulse, legt aber auch ein ganz persönliches Zeugnis über sein Gebetsleben ab.
Interview mit Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz
Kirche heute: Hochwürdigster Herr Bischof, am 15. Juni 2024 werden Sie für die Teilnehmer des Adoratio-Kongresses in Altötting den Gottesdienst feiern. Worin sehen Sie die Bedeutung der Adoratio-Kongresse?
Bischof Ipolt: Mit diesen Kongressen hat sich in den letzten Jahren eine neue Form in der Kirche entwickelt, die ein bodenständiger Weg für viele Christen sein kann. Das lateinische Wort congregare bedeutet sich zusammenschließen, sich versammeln. In diesem Sinn stellt der Kongress ein Stück Kirche dar – denn Kirche ist immer Versammlung, Gemeinschaft im Glauben. Niemand kann allein glauben. Wir sind immer Mit-Glaubende mit anderen. Christsein gelingt nicht als Robinson auf der Insel, sondern nur mit den Brüdern und Schwestern. Die Adoratio-Kongresse zeichnen sich dadurch aus, dass hier Gebet und Anbetung verbunden werden mit der Wortverkündigung in Vorträgen und Workshops. Mit Gott sprechen und im Licht des Glaubens miteinander sprechen und den Glauben teilen – das ist für mich wie zwei Seiten einer Münze. Es gehört zutiefst zusammen. Bei den Kongressen wird beides geübt und für manchen Teilnehmer, so hoffe ich, zu einer neuen Erfahrung.
Wir wissen um die heutigen Schwierigkeiten vieler Mitchristen, den Glauben in Worte zu fassen und damit für andere hörbar und verstehbar zu machen. Dazu gehören ein wenig Mut und die Überzeugung, dass das Evangelium eine wichtige Botschaft für alle Menschen ist. Im Raum des Adoratio-Kongresses kann man diesen Mut gewinnen und sich durch die Schwestern und Brüder (nicht nur durch Bischöfe) stärken lassen.
Wie gehören Ihrer Erfahrung nach Anbetung und Evangelisierung zusammen?
Jede Erneuerung fängt im eigenen Herzen an. Zuerst muss ich selbst in Berührung mit dem Evangelium sein und daraus leben. Man könnte das mit dem Wort Selbst-Evangelisierung umschreiben. Das gilt für den einzelnen Christen, aber auch für die ganze Kirche. Wir können nur etwas bezeugen, von dessen Kraft wir selbst überzeugt sind und wenn wir aus der Quelle der Begegnung mit dem Herrn leben.
Bereits Papst Paul VI. hat in seinem wichtigen Schreiben „Evangelii nuntiandi“ im Jahr 1975 betont: „Die Evangelisierung der Welt geschieht also vor allem durch das Verhalten, durch das Leben der Kirche, das heißt durch das gelebte Zeugnis der Treue zu Jesus, dem Herrn, durch das gelebte Zeugnis der Armut und inneren Loslösung und der Freiheit gegenüber den Mächten dieser Welt, kurz, der Heiligkeit.“ (Nr. 41). In der Anbetung üben wir diese Treue zum Herrn ganz praktisch ein: wir verweilen eine gewisse Zeit in der Stille bei ihm und lassen uns von ihm etwas sagen, lassen unser Leben von ihm formen.
Evangelisierung ist deshalb ohne Gebet undenkbar – weil wir entdecken müssen, was Gott in der jeweiligen Situation, in der gegenwärtigen geschichtlichen Stunde von uns als Kirche erwartet.
Was heißt diese Botschaft der Adoratio-Kongresse für das kirchliche Leben in den Pfarrgemeinden?
In den Pfarreien und Gemeinden gibt es viele Veranstaltungen, bei denen sich Christen versammeln. Zum Teil sind es Freizeitunternehmungen, zu einem anderen Teil Bildungsveranstaltungen oder Kurse zur Glaubensvertiefung. In dieser Hinsicht sind viele Gemeinden sehr erfinderisch und lebendig. Das ist gut so. Manchmal rate ich einer Pfarrei im Rahmen meiner bischöflichen Visitation, alle Veranstaltungen einmal zu evaluieren unter dem Aspekt: Führen unsere Treffen, Vereine und Veranstaltungen wirklich tiefer zu Christus? Wo helfen sie Menschen zum Glauben? Oder noch zugespitzter gefragt – insbesondere für unsere Situation im Osten Deutschlands –: würde ein suchender Nichtchrist, der an einer Pfarreiveranstaltung teilnimmt, in eine Berührung mit dem Evangelium oder mit Gott kommen? Würde er tatsächlich bemerken, dass sich hier Christen versammeln? Dies ist letztlich die Frage nach unserem unverkennbaren Profil, das wir nicht verstecken dürfen. Mir scheint, dass wir hier insgesamt mutiger und deutlicher werden müssen. Dazu kann dem einen oder der anderen auch ein solcher Kongress helfen, wenn die Anregungen dann in der eigenen Pfarrei fruchtbar gemacht werden.
Welche Impulse möchten Sie den Teilnehmern des Kongresses mit auf den Weg geben?
In den Tagen des Adoratio-Kongresses wird es viele Anregungen und Impulse geben. Jeder sollte aufmerksam sein und das festhalten, was ihn für den weiteren Weg als Christ stärkt. Das kann z.B. ein Gebet oder ein Lied sein, das jemand hier kennenlernt; das können wenige Sätze aus einem Vortrag oder einer Predigt oder einem Workshop sein, die mich anregen und meinen Glauben vertiefen. Damit aber nicht alles nur in meinem Inneren verschlossen bleibt, ist die Frage wichtig: Wo kann ich etwas an andere weitergeben – an Bekannte, an meine Familie, an eine Gruppe in der Gemeinde. So kann der Adoratio-Kongress gute Früchte bringen.
Papst Franziskus hat als Vorbereitung auf das bevorstehende Heilige Jahr 2025 ein „Jahr des Gebetes“ ausgerufen. Worum geht es bei dieser Initiative?
Der Papst möchte mit dieser Initiative unseren Blick zunächst auf die Mitte richten – auf Christus. So will er das Heilige Jahr mit der ganzen Kirche gut vorbereiten.
Wir wissen doch nur zu gut: Unser Gebet braucht immer Erneuerung. Viele haben das Beten aufgegeben oder halten es gar für nutzlos. Dieses Jahr sollte uns alle ermutigen, kleine Schritte eines neuen Anfangs in unserer Beziehung zu Gott zu gehen.
Welches Echo hat es bislang in Deutschland auf die Anregung des Papstes gegeben?
Über das Echo in Deutschland kann ich nicht allzu viel sagen, weil ich es nicht weiß. In meinem Bistum habe ich das Jahr des Gebetes verknüpft mit dem 850. Geburtstag unserer Bistumspatronin, der heiligen Hedwig. Eine Reliquie dieser Heiligen wird durch das Bistum von Gemeinde zu Gemeinde weiter gegeben mit verschiedenen Gebetsanregungen. Die heilige Hedwig war trotz ihrer vielfachen Aktivitäten eine betende Frau. Von ihr können wir lernen, dass Nächstenliebe ihre Wurzeln in der Liebe zu Gott hat und deshalb aus dem Gebet genährt wird.
Daneben gibt es für mich als Bischof viele Gelegenheiten, bei denen ich das Thema in der Predigt aufgreife.
Wie könnten wir das „Jahr des Gebetes“ aufgreifen und fruchtbar machen?
Jede Gemeinde könnte überlegen, wo es eine Möglichkeit gibt, die Gebetspraxis neu zu beleben und zu vertiefen. Vor allem aber das Familiengebet braucht in unserem Land dringend einen neuen Anfang. Durch das Gebet in der Familie – das Tischgebet, ein gemeinsames Abendgebet oder ein Lied zu bestimmten Anlässen – wird der Glaube besonders für Kinder lebendig. Kinder erleben so, wie die Erwachsenen selbstverständlich das Herz zu Gott erheben und das Gebet im Alltag einen festen Platz hat und nichts Exotisches ist. Diese Erfahrung kann kein Religionslehrer, kein Priester und keine Katechetin ersetzen.
In diesem Sinne hat bereits das II. Vaticanum die Familie als „domesticum sanctuarium“ (vgl. Dekret über das Apostolat der Laien 11) bezeichnet, um die Bedeutung des Gebets in der Familie hervorzuheben. Aus meiner Sicht wäre dies eine schöne Frucht des Jahres des Gebetes, wenn das gemeinsame Gebet in unseren Häusern verlebendigt werden könnte.
Was ist für Sie persönlich am Wichtigsten, wenn es um das Thema Gebet geht?
Das Wichtigste ist die Treue. Man darf nicht nur beten, wenn einem danach ist. Das Gebet ist ein Ausdruck meiner Freundschaft zu Gott – und diese Freundschaft muss gepflegt werden. Natürlich wünschen wir uns, dass Gott uns auch das Gefühl seiner Nähe und Erfahrungen seiner Gegenwart schenkt. Aber ob er das tut, müssen wir ihm überlassen. An uns liegt es, auch ohne erhabene Gefühle ihm die Treue zu halten und im Vertrauen auf seine Gegenwart zu beten.
Kardinal Walter Kasper hat einmal formuliert: „Das Gebet ist der Ernstfall des Glaubens.“ Dem kann ich voll zustimmen. Wer sagt „Ich glaube an Gott…“, der kann Gott nicht links liegen lassen, sondern muss sich ihm immer wieder aussetzen und darf natürlich auch vertrauensvoll seine Bitten vor ihn bringen.
Ich selbst bin dankbar, dass ich das Stundengebet der Kirche jeden Tag als „Geländer“ meines Betens habe. Ich bete es ja im Namen der Kirche und auch stellvertretend für die Schwestern und Brüder, besonders für die, die nicht mehr beten können oder Gott aus den Augen verloren haben. Im Stundengebet kommen immer wieder die Situationen des menschlichen Alltags zum Klingen und werden vor Gott getragen.
Wenn jemand Anregungen für sein persönliches Beten sucht, dann empfehle ich gern, einen Teil dieses Gebetes der Kirche sich zu eigen zu machen. Als Hilfen nenne ich an dieser Stelle das „Magnificat“ und das „Te Deum“ – die beiden monatlich erscheinenden und am Kirchenjahr orientierten Gebetbücher.
Auf eines möchte ich noch aufmerksam machen: Für das Gespräch mit Gott braucht es keinen besonderen Ort. Eine wichtige Kunst eines wachen Christenlebens besteht meiner Meinung nach darin, in den vielfachen Anregungen und Situationen in Arbeit und Freizeit, in der Natur und in der Kunst, bei den Nachrichten in Radio und Fernsehen, beim Lesen der Zeitung, zu entdecken, was das alles mit Gott zu tun haben könnte, und durch kurze Aufblicke des Dankes, der Freude, der Fürbitte, der Klage den Himmel offen zu halten. Solche Kurzgebete (oder auch Stoßgebete) helfen mir tagsüber mit meinen Gedanken bei Gott zu bleiben. Auch das ist ein Ausdruck meiner Treue.
Verehrter Herr Bischof, herzlichen Dank für dieses aufbauende Gespräch! Ihre berührenden Worte mögen reiche Früchte bringen. Für Ihren Hirtendienst wünschen wir Ihnen die Freude des Auferstandenen und den mächtigen Beistand des Heiligen Geistes.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Vorstellung einer Gebetsinitiative – Frucht des Weltjugendtags 2016 in Krakau
Der katholische Jugendpfarrer Daniel Rietzler ist derzeit Leiter der Jugendstelle Weißenhorn und für die Dekanate Günzburg und Neu-Ulm zuständig. Er stellt die Gebetsinitiative „Einfach gemeinsam beten“ vor, die er 2017 mit seinem Team ins Leben gerufen hat. Über regionale WhatsApp-Gruppen werden Jugendliche, Erwachsene und Familien durch tägliche Audio-Impulse im persönlichen Gebet unterstützt. In einem großen Gebetsnetz wissen sich die Teilnehmer untereinander verbunden und mitgetragen. Das Gebetsnetz wird über die Social-Media-Kanäle geknüpft und stellt eine zeitgemäße Form der Evangelisierung dar. Im Rahmen der weltkirchlichen Initiative des „Jahres des Gebetes“, das Papst Franziskus für 2024 ausgerufen hat, möchte Pfarrer Rietzler seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen einbringen.
Von Daniel Rietzler
Zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025 in Rom hat unser Papst Franziskus ein „Jahr des Gebetes“ ausgerufen. Sein Anliegen ist nicht nur, durch ein weltweites Fürbittgebet dem erhofften Gnadenwirken den Boden zu bereiten. Vielmehr will er den Impuls geben, das Gebet als Herzmitte des christlichen Lebens neu zu entdecken und auch Suchenden einen Zugang zu einem spirituellen Leben zu eröffnen. Viele Katholiken haben den Zugang zum regelmäßigen Gebet verloren. Dies zeigt die sog. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) 2023, an der sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche beteiligt waren. Nur noch 14,8 Prozent der katholischen Christen geben an, täglich zu beten. Ohne tägliches Gebet aber verlieren wir die Grundlage für ein frohes Leben aus dem Glauben und für den Dienst am Mitmenschen. Ohne Gebet geht dem Christen buchstäblich die Luft aus!
Weltjugendtag 2016 in Krakau: „Jesus möchte zu Dir nach Hause kommen!“
Das „Jahr des Gebetes“ ist ein schöner Anlass, eine Gebetsinitiative vorstellen, die aus dem Weltjugendtag 2016 in Krakau hervorgegangen ist. Als Jugendseelsorger ist mir immer klarer geworden, wie wichtig es ist, junge Christen an das tägliche und insbesondere persönliche Gebet heranzuführen. Nur so können sie Glaubenserfahrungen machen, die sich in den Alltag hinein auswirken und eine persönliche Gottesbeziehung wachsen und reifen lassen. Diese Notwendigkeit wurde auch dem Passionistenpater Dominikus Hartmann bei seiner Begleitung von Jugendgruppen bewusst. Schließlich inspirierten uns Worte von Papst Franziskus, die er bei der Abschlussmesse in Krakau an die Jugendlichen richtete. Er sagte: „Jesus möchte zu Dir nach Hause kommen. Wie hofft er, dass unter all den Kontakten und Chats des Alltags an erster Stelle der goldene Faden des Gebetes stehe!“
Tägliche Audio-Impulse über „WhatsApp“
Wie die Erfahrung zeigt, ist das „Smartphone“ für die heutige Generation zum wichtigsten Alltagsgegenstand geworden. So reifte in uns die Überzeugung, dass das Handy mit dem Messenger-Dienst „Whats-App“ ein Mittel sein könnte, um junge Menschen auf der Reise ins persönliche Gebet zu begleiten. Durch verschiedene Begegnungen und Fügungen ermutigt begannen wir am 13. Januar 2017 mit einem kleinen Gebetstreffen der Jugendstelle Weißenhorn, für die ich verantwortlich bin, und wählten für unsere Initiative den Namen „Einfach gemeinsam BETEN“. Zeitgleich starteten wir digital über den Messenger-Dienst „WhatsApp“. In den ersten Tagen verbreitete sich das Gebetsnetz rasant. Schon bald erhielten über 1000 mitbetende Jugendliche die täglichen Audio-Impulse. Grund für diese sprunghafte Entwicklung war auch die mediale Resonanz. So berichteten in den ersten Wochen mehrere größere Medien über das neue Gebetsprojekt, z.B. BR online, die Tagesschau App, die Augsburger Allgemeine und auch Radiostationen wie Antenne Bayern. Die entscheidenden „Digital-Missionare“ aber waren die Jugendlichen selbst: Wie sie es auch bei anderen Inhalten gewohnt waren, teilten sie die Impulse mit Freunden und Bekannten, von denen sich viele interessiert zeigten und sich der Whats-App-Gruppe anschlossen.
Öffnung des Angebots für Erwachsene
Durch die begeisterte Teilnahme der Jugendlichen waren auch viele Erwachsene neugierig geworden und fragten nach, ob dieses Angebot nicht auch für sie geöffnet werden könnte. Ihnen schlugen wir vor, Mitverantwortung als Gruppenleiter zu übernehmen, als sog. „Netzwerker“. Wir konnten nur stauen, was sich da entwickelte. Als berührendes Beispiel darf ich das Zeugnis einer jungen Familienmutter wiedergeben, die uns später geschrieben hat und seither selbst im Team mitwirkt: „Im Februar war ich in einem großen seelischen Loch. Mein Sohn hat mir eines Tages einen Gebetsnetz-Impuls weitergeleitet, der gerade perfekt zu mir passte. Er hat mich gestärkt und mir Kraft gegeben. Mein Sohn schickte mir fast täglich die Impulse, bis es die Gruppe für die Älteren gab. Sehr viele von ihnen bauten mich wieder auf, stärken mich jetzt, lassen mich Zusammenhänge verstehen und erkennen. Auch mein Beten hat sich verändert, es ist besser geworden. Es stärkt, gibt Kraft und Hilfe!“
Möglich wurde die Ausweitung der Gebetsinitiative besonders durch die tatkräftige Unterstützung von Weihbischof Florian Wörner. Er stand ihr von Anfang an wohlwollend zur Seite und empfahl sie sogar in seiner Predigt auf der MEHR-Konferenz 2017 in Augsburg. Auch das Internetportal Credo und Radio Horeb setzten sich für unser Anliegen ein, sodass es möglich wurde, die Initiative breiter aufzustellen und Whats-App-Gruppen eigens für Erwachsene ins Leben zu rufen.
Bis heute schließen sich immer wieder Interessierte der Initiative an. Viele, die sich auf unser Gebetsexperiment eingelassen haben, bleiben dabei und sind teilweise seit vielen Jahren mit der Gruppe verbunden. Andere treten nach einer gewissen Zeit wieder aus. Heute gibt es ca. 140 regionale WhatsApp-Gruppen mit insgesamt rund 3500 Teilnehmern, die die täglichen Gebetsimpulse erhalten. Natürlich wissen wir nicht, wie regelmäßig die versendeten Impulse gehört werden und dann in Stille und Gebet nachwirken. Manch einer findet durch einen ansprechenden Impuls oder aufgrund einer persönlichen Krise auch wieder Zugang und erneuert so seine aktive Teilnahme.
Gebetsmodell von „Einfach gemeinsam BETEN“
Zum Einstieg bekommen die Mitbeter, Jugendliche wie Erwachsene, unsere täglich gleichbleibenden Grundgebete zugeschickt, und zwar das bekannte Morgengebet der hl. Mirjam v. Abellin und eine Gebetshilfe zum Tagesabschluss (siehe Kästchen). Dazu erhalten sie jeden Tag einen kurzen Audio-Impuls von kompetenten Referenten, die an der Initiative mitwirken. Dazu gehören zahlreiche deutsche Bischöfe, Priester, Ordensleute, junge Laien, Väter und Mütter oder auch Schüler von verschiedenen Augsburger Schulwerkschulen.
Die drei Schlagworte, die den Titel bilden, geben die Richtung vor:
Einfach beten: Das Wort „einfach“ meint so viel wie „nicht kompliziert“, „ohne großen Aufwand“ und „für den Alltag geeignet“. Die Gebetsinitiative schlägt vor, sich am Morgen ca. 10-15 Minuten Zeit zu nehmen, und zwar für das Morgengebet der hl. Mirjam, das Hören des Audio-Impulses und eine flexible Zeit der Stille. Abends sind die Mitbeter zu einem kurzen Abendgebet mit Tagesrückblick eingeladen, um die Spuren Gottes im ganz normalen Alltag zu sichten und alles mit einem Dank bzw. einer Bitte um Vergebung vor Gott zu bringen.
Gemeinsam beten: Das persönliche Gebet darf sich dabei vom Gebet der Gemeinschaft getragen wissen: „Wer glaubt, wer betet, ist nicht allein!“ Aus dem einfachen, treuen Gebet in Gemeinschaft kann dem täglich betenden Christen eine Haltung zuwachsen, aus der heraus er seinen Glauben dann im Alltag lebt und in Taten der Liebe bezeugt.
Pastorale Erfahrungen
Am Anfang des Projekts stand kein Strukturplan, sondern die Sehnsucht, jungen Menschen einen Zugang zum täglichen Gebet zu eröffnen. Durch deren Begeisterung nahm die Initiative Gestalt an. Ziemlich schnell bildete sich die Form heraus, in der die Inhalte vermittelt werden können. Getragen wird das Gebetsnetz bis heute vor allem von katholischen Jugendlichen und Erwachsenen, die sich ehrenamtlich engagieren und einbringen, also nicht von hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeitern, auch wenn wir von verschiedenen kirchlichen Stellen im Bistum Augsburg unterstützt werden und mit ihnen kooperieren können wie mit der Abteilung Evangelisierung und dem Medienportal Credo.
Die zahlreichen Rückmeldungen und Zeugnisse machen deutlich, dass auch bei jungen Menschen ein großes Interesse an einer alltagsnahen, leicht zugänglichen und gleichzeitig gemeinschaftlich erlebten Spiritualität besteht, die im persönlichen Gebet verwurzelt ist. Unsere Erfahrung unterstreicht, dass der Weg zur Vertiefung des Glaubens und zur Erneuerung der Kirche über das Gebet führt. Aber es muss ein Gebet sein, das den Alltag durchwirkt und sei-ne Dynamik im christlichen Engagement für die Mitmenschen entfaltet.
Im Rückblick auf die Entwicklung der Gebetsinitiative seit dem 13. Januar 2017 können wir vor allem eines feststellen, nämlich dass die Jugendlichen in ihrer Begeisterung selbst Teil dieser Vision geworden sind und als Gruppenleiter bzw. „Netzwerker“ die Vision mittragen. Im ganzen deutschsprachigen Raum, vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sind sie es, die das Gebetsnetz weiter knüpfen. Während bei vielen Jugendlichen der anfängliche Eifer nachgelassen hat, sind es inzwischen mehr die Erwachsenen, die als Protagonisten, als Beschenkte und Weiterschenkende, mitwirken. Sie treten in die evangeliumsgemäße Logik der Glaubensweitergabe ein und leben so das Geheimnis der Kirche als Leib Christi zum Dienst an anderen.
Inspirationen und Anregungen
Stichpunktartig sollen einige Elemente der Gebetsinitiative genannt werden, welche wir als wertvolle Inspirationen erlebt haben:
• Das tiefgehende Morgengebet der jungen heiligen Miriam bringt auf eingehende Weise die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe ins Bewusstsein.
• Auf der Grundlage von Audio-Impulsen über das Smartphone, die täglich einen Vers aus der Bibel für die stille Betrachtung anbieten, kann sich eine neue Form des persönlichen Gebets entwickeln.
• Die tägliche Erfahrung, in einem Gebetsnetz mit anderen verbunden und getragen zu sein, stellt eine große Hilfe dar, um im Alltag einen festen persönlichen Gebetsrhythmus zu finden.
• Durch die Zeugnisse anderer Christen kann die Sehnsucht erwachen, im persönlichen Gebet einen neuen Anfang zu wagen und nach geeigneten Hilfsmitteln Ausschau zu halten, z.B. ein Seelsorgegespräch zur Unterstützung anzufragen.
• Oft spüren Teilnehmer, wenn andere Menschen in der Pfarrei oder im persönlichen Umfeld spirituell auf der Suche und für ein kleines Gebetsexperiment offen sind. Ihnen können sie durch den Hinweis auf die Initiative eine Gebetshilfe anbieten.
• Pastorale Mitarbeiter können in ihren Pfarreien kleine Teams aufbauen, die den Menschen vor Ort einfache Hilfsmittel an die Hand geben und eine Gemeinschaft bilden, welche Suchende auf dem Weg zum persönlichen Gebet begleitet. Dies kann in Kooperation mit Mitarbeitern vom Team „Einfach gemeinsam BETEN“ geschehen. Auf diese Weise haben wir bereits mit verschiedenen Pfarreien und Gruppen eine Impulswoche gestaltet.
Ausblick
Ausgehend von den verschiedenen Erfahrungen der letzten Jahre bin ich überzeugt, dass das „Jahr des Gebetes“ eine große Chance für die Kirche darstellt. Es ist eine Einladung, durch die „Heilige Pforte des Gebets“ in die Welt des Glaubens, letztlich in das Geheimnis des dreifaltigen Gottes einzutreten. In der Stille, immer, wenn wir „einfach gemeinsam beten“, können wir als Kirche die Erfahrung machen, dass Gott uns inmitten des Lebens und auch des Ringens um den rechten Weg immer neu entgegenkommt. Wo wir als Kirche zusammenkommen, vor allem real an einem Ort wie Maria und die Apostel vor Pfingsten, aber auch digital verbunden über „social media“ stellen wir unseren Herrn ins Zentrum und bleiben nicht auf uns selbst und unsere menschliche Agenda fixiert. Im Gebet räumen wir Gott den ersten Platz ein und können dann auch erfahren, dass sich die Dinge recht ordnen und unser Wirken die richtige Stoßrichtung findet und Frucht bringt.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Bei „Einfach gemeinsam beten“ kann eine ansprechend gestaltete DIN-A6- Gebetskarte kostenlos bestellt werden, bei Bedarf auch in größerer Stückzahl, zum Beispiel als Beilage zum Pfarrbrief. Bestellung per Mail an:
einfachgemeinsambeten@web.de
Als PDF kann sie auf der Homepage der Gebetsinitiative heruntergeladen werden:
www.einfach-gemeinsam-beten.de
Dort finden sich auch weitere Infos und mehr als 2000 bisherige Audio-Impulse.
Die täglichen Impulse können auf der überall erhältlichen App: App2heaven angehört werden. Wer einer WhatsApp-Gruppe beitreten möchte, kann sich mit einer kurzen WhatsApp-Nachricht mit Vornamen und Postleitzahl unter folgenden Nummern anmelden:
Jugendliche - 0176 87202838
Erwachsene - 0152 21031561
Der direkte und einfachste Weg ist über den QR Code – einfach scannen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Herr Jesus Christus, im Schweigen dieses anbrechenden Morgens komme ich zu Dir und bitte Dich mit Demut und Vertrauen um Deinen Frieden, Deine Weisheit, Deine Kraft.
Gib, dass ich heute die Welt betrachte mit Augen, die voller Liebe sind. Lass mich begreifen, dass alle Herrlichkeit der Kirche aus Deinem Kreuz als deren Quelle entspringt.
Lass mich meinen Nächsten als den Menschen empfangen, den Du durch mich lieben willst.
Schenke mir die Bereitschaft, ihm mit Hingabe zu dienen und alles Gute, das Du in ihn hineingelegt hast, zu entfalten.
Meine Worte sollen Sanftmut ausstrahlen, und mein ganzes Verhalten soll Frieden stiften. Nur jene Gedanken, die Segen verbreiten, sollen in meinem Geiste haften bleiben.
Verschließe meine Ohren vor jedem übelwollenden Wort und jeder böswilligen Kritik. Möge meine Zunge nur dazu dienen, das Gute hervorzuheben.
Vor allem bewirke, o Herr, dass ich so voller Frohmut und Wohlwollen bin, dass alle, die mir begegnen, sowohl Deine Gegenwart als auch Deine Liebe spüren.
Bekleide mich mit dem Glanz Deiner Güte und Deiner Schönheit, damit ich Dich im Verlaufe dieses Tages offenbare. Amen.
1. Versuche zunächst zur Ruhe zu kommen; vergewissere dich der Gegenwart Gottes und starte dann ganz bewusst mit dem Kreuzzeichen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.“
2. Danke Gott, dass du kein Zufallsprodukt bist, sondern dass er DICH einmalig geschaffen hat und dich durch den vergangenen Tag begleitet hat.
3. Bitte Gott, die vergangenen Stunden des Tages ehrlich wie in einem Film anschauen zu können.
4. Gehe den Tag nochmals durch. Erinnere dich an Tätigkeiten, Begegnungen, Gefühle, Gedanken usw. Wo hat mich heute eine Freude überrascht, was war schwer und hat mich niedergedrückt…? Wer hat mich verletzt? Wem habe ich „Schmerz bereitet“?
5. Sprich darüber mit dem Gott, dessen liebender Blick auf dir ruht: Danke für alles, was gut und gelungen war. Bitte um Trost, Vergebung oder Versöhnung für das, was dunkel oder schuldhaft war. Vertraue alles der treuen Liebe Gottes an.
6. Schaue auf den nächsten Tag: Was hast du vor? Vertraue Jesus, deinem Freund, alle Hoffnungen und Befürchtungen an.
7. Schließe mit einem Vater Unser und lege dich in Frieden nieder, für einen hoffentlich guten Schlaf und eine erholsame Nacht.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Die zahlreichen Rückmeldungen von Teilnehmern der Gebetsinitiative „Einfach gemeinsam BETEN“ geben Einblick in die Wirksamkeit dieses einfachen Instruments des Glaubens. Der Heilige Geist, der auf eindrucksvolle Weise am Werk ist, darf als der eigentliche „Netzwerker“ dieses Gebetsnetzes bezeichnet werden.
Jesus ist mit mir
Bereits im Jahr 2022 hatte ich den Wunsch, als Au-pair nach Deutschland zu kommen. Ich wollte eine neue Sprache lernen, andere Kulturen kennenlernen und den Glauben fern von zu Hause entdecken. So habe ich angefragt, ob ich auch Mitglied der WhatsApp-Gebetsgruppe werden könnte, auch wenn ich noch nicht in Deutschland bin, um so mit den anderen jungen Leuten beten zu können, was für mich eine große Freude ist und gleichzeitig mein Deutsch verbessert. Ich bin sehr glücklich. Diese Gebetsgruppe hat mir wirklich sehr geholfen. Durch die gemeinsamen Gebete und den Austausch konnte ich meinen Glauben stärken, und dafür bin ich sehr dankbar.
Im Jahr 2024 bin ich nun als FSJ-ler (Freiwilliges Soziales Jahr) nach Deutschland gekommen. Ich arbeite in einem Krankenhaus, was es mir erlaubt, das Evangelium zu leben, wenn Jesus sagt: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht.“ Das hat mir große Freude bereitet. Außerdem hat mir das Gebet sehr geholfen, denn manchmal ist es nicht einfach, aber ich weiß, dass Jesus mit mir ist.
Aina Tiantsoa Ranavalison aus Madagaskar, 18 Jahre
Wunden heilen lassen
Das Gebetsnetz hat mir geholfen, eine schwierige Lebenssituation zu meistern und die meisten der vorhandenen Wunden heilen zu lassen. Durch die täglichen Impulse ist in mir die Sehnsucht entstanden, mein Leben intensiver mit Gott zu leben!
Barbara aus Pöttmes, 23 Jahre
Ich bin nicht allein
Für mich war der Beitritt in das Gebetsnetz eine Führung des Heiligen Geistes. Es hat meinen Glauben verändert, gefestigt und mir aufgezeigt, dass ich erst am Anfang meines Weges bin. Aber was mich von ganzem Herzen berührt, sind die Menschen, die ich in den Impulsen kennenlernen darf.
Elke aus Passau, 44 Jahre
Im Glauben weiterkommen
Durch die verschiedenen Impulsgeber komme ich beim Beten und im Glauben weiter! Die täglichen Impulse sind sehr gut und helfen mir dabei!
Willi aus Neukirchen, 44 Jahre
Verschiedene Blickwinkel
Mich begeistern an „Einfach gemeinsam Beten“ diese verschiedenen Facetten und Blickwinkel auf den Glauben. So kann ich auf dem eigenen Weg zu IHM immer weiterwachsen und einiges dazulernen.
Franzi aus Günzburg, 22 Jahre
Ruhe finden
Mir gefallen die wechselnden Wochenthemen und die verschiedenen Bibeltexte. Der Moment im Gebet ist der Ruhepol in meinem Tag geworden und lässt mich erkennen, dass ich leider zu wenig bete... Mir wird auch immer wieder die Verbindung der Heiligen Schrift zu uns und dem Hier und Jetzt bewusst.
Winfried aus Köln
ER schenkt mir Kraft!
Ich finde, dass das Gebetsnetz eine tolle Möglichkeit ist, Gott noch näher zu kommen. Mich begeistert sehr zu sehen, dass ich nicht alleine mit meinem Glauben bin und dass ich mich dafür nicht schämen muss! Die Impulse helfen mir, mehr über mein eigenes Leben nachzudenken. Jesus schenkt mir Kraft, wenn ich seinen Rat brauche und wieder neuen Mut, wenn etwas mal nicht so klappt, wie ich es eigentlich geplant hatte. Im Gebet komme ich zu Ihm und Er hört mir zu, wie mein bester Freund!
Eva aus Karlsruhe, 17 Jahre
Hilfe in schwierigen Situationen
Die täglichen Impulse und Bibelstellen finde ich sehr gut. Außerdem sind die Wochenthemen sehr ansprechend. Ich bin beeindruckt davon wie viele, vor allem junge Leute, es doch noch gibt, die beten. Mir gibt das Beten sehr viel Kraft und Hilfe, besonders in schwierigen Situationen.
Michaela vom Niederrhein, 49 Jahre
Noch viele andere mit mir
Die Gebetsimpulse helfen mir, im Glauben voranzukommen. Es ist schön zu wissen, dass da noch viele andere mit mir beten.
Anna, 16 Jahre
Es macht mir Freude
Ich bete auch sehr gerne hier mit meiner Mama und meinem Papa. Es ist schön, dass viele mitbeten; es macht mir Freude!
Emma-Sophie, 7 Jahre
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Bei der heiligen Messe am Hochfest Erscheinung des Herrn am 6. Januar 2020 in der Petersbasilika ging Papst Franziskus bei seiner Predigt auf den biblischen Bericht über die Sterndeuter ein und stellte fest: „Die Anbetung ist der Zweck ihrer Reise, das Ziel ihres Weges.“ Und er erklärte, was Anbetung für jeden Gläubigen bedeutet. Nachfolgend der zweite Teil seiner Ansprache, in der er auf einzigartige Weise in den Geist der Anbetung einführt und uns eine wunderbare Gebetshilfe an die Hand gibt.
Von Papst Franziskus
Anbeten bedeutet, aus der größten Sklaverei, aus der Knechtschaft des eigenen Ichs auszuziehen. Anbeten heißt, den Herrn ins Zentrum zu stellen, um nicht auf sich selbst fixiert zu bleiben. Es bedeutet, die Dinge recht zu ordnen und dabei Gott den ersten Platz einzuräumen. Anbeten heißt, die Pläne Gottes vor meine Zeit, meine Rechte, meine Räume zu stellen: anbeten heißt zu spüren, dass wir Gott gehören und umgekehrt. Es bedeutet, im Inneren zu ihm „Du“ zu sagen, das Leben zu ihm zu bringen und zuzulassen, dass er in unser Leben tritt. Es bedeutet, seinen Trost auf die Welt herabzurufen. Anbeten heißt zu entdecken, dass es beim Beten genügt, ,Mein Herr und mein Gott!‘ (Joh 20, 28) zu sagen, und ebenso sich von seiner zärtlichen Liebe erfüllen zu lassen.
Anbeten bedeutet, Jesus ohne eine Wunschliste in der Hand zu begegnen, sondern allein mit dem Wunsch, bei ihm zu bleiben. Es heißt zu entdecken, dass die Freude und der Friede mit dem Lobpreis und der Danksagung wachsen. Wenn wir anbeten, erlauben wir Jesus, uns zu heilen und zu verändern. Durch die Anbetung geben wir dem Herrn die Gelegenheit, uns mit seiner Liebe zu verwandeln, unser Dunkel zu erhellen, uns in der Schwachheit Kraft und in der Prüfung Mut zu verleihen. Anbeten heißt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: das ist der Weg, um von vielen unnützen Dingen loszukommen, von Abhängigkeiten, die das Herz betäuben und den Geist benommen machen. Denn durch die Anbetung lernen wir zurückzuweisen, was nicht angebetet werden darf: den Götzen des Geldes, des Konsums, des Vergnügens, des Erfolges, unser Ich, das an die Stelle Gottes getreten ist. Anbeten bedeutet, sich im Angesicht Gottes des Allerhöchsten klein zu machen, um vor ihm zu erkennen, dass die Größe des Lebens nicht im Haben, sondern im Lieben besteht. Anbeten heißt, wieder neu zu entdecken, dass wir vor dem Geheimnis der Liebe, die jede Distanz überwindet, Brüder und Schwestern sind: es bedeutet, das Gute an der Quelle zu schöpfen, und in Gott, der nahe ist, den Mut zu finden, sich den anderen Menschen zu nähern. Anbeten heißt, vor dem göttlichen Wort schweigen zu können, um zu lernen, Worte zu sprechen, die nicht verletzen, sondern trösten.
Anbetung ist eine Geste der Liebe, die das Leben verändert. Anbeten heißt, es wie die Sterndeuter zu machen: dem Herrn Gold zu bringen, um ihm zu sagen, dass nichts wertvoller ist als er; ihm Weihrauch zu opfern, um ihm zu sagen, dass nur mit ihm unser Leben aufsteigt; ihm Myrrhe darzubringen, mit der verwundete und geschundene Körper gesalbt wurden, um Jesus zu versprechen, unserem ausgegrenzten und leidenden Nächsten beizustehen, weil er in ihm gegenwärtig ist. Meist verstehen wir zu beten – wir bitten, wir danken dem Herrn –, aber die Kirche muss im anbetenden Gebet noch weiter gehen, wir müssen in der Anbetung wachsen. Es ist eine Weisheit, die wir jeden Tag lernen müssen. Beten in der Haltung der Anbetung: anbetendes Gebet.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Als Thema für den 38. Weltjugendtag am 16. November 2023 wählte Papst Franziskus das Wort des hl. Paulus: „Freut euch in der Hoffnung“ (Röm 12,12). In seiner Botschaft rief er die Jugendlichen dazu auf, die Hoffnung zu nähren, damit aus den kleinen Funken große Feuer der Hoffnung werden. Es sei natürlich „die sanfte Brise des Heiligen Geistes, die die Hoffnung nährt“. Aber dazu müssten wir „auf verschiedene Weise beitragen“. Papst Franziskus nennt zwei Formen, welche in der Initiative „Einfach gemeinsam BETEN“ ideal miteinander verbunden sind: „Die Hoffnung wird durch das Gebet genährt“ und „durch unsere täglichen Entscheidungen“. Und als Beispiel nennt er: Versucht, in den sozialen Medien jeden Tag ein Wort der Hoffnung zu teilen!
Von Papst Franziskus
Die Hoffnung wird durch das Gebet genährt. Indem wir beten, bewahren und erneuern wir die Hoffnung. Indem wir beten, halten wir den Funken der Hoffnung am Brennen. „Das Gebet ist die erste Kraft der Hoffnung. Du betest, und die Hoffnung wächst, sie geht voran."[1] Beten ist wie in große Höhe aufzusteigen: Wenn wir am Boden sind, können wir oft die Sonne nicht sehen, weil der Himmel mit Wolken bedeckt ist. Aber wenn wir über die Wolken hinaus aufsteigen, umhüllen uns das Licht und die Wärme der Sonne. Und durch diese Erfahrung finden wir zur Gewissheit zurück, dass die Sonne immer da ist, auch wenn alles grau erscheint.
Liebe Jugendliche, wenn euch der dichte Nebel der Angst, des Zweifels und der Beklemmung umgibt und ihr die Sonne nicht mehr sehen könnt, dann nehmt den Weg des Gebets. Denn „wenn niemand mehr mir zuhört, hört Gott mir immer noch zu“.[2] Nehmen wir uns jeden Tag Zeit, um angesichts der Ängste, die uns bedrängen, in Gott zu ruhen: „Bei Gott allein werde ruhig meine Seele, denn von ihm kommt meine Hoffnung“ (Ps 62,6).
Die Hoffnung wird durch unsere täglichen Entscheidungen genährt. Die Einladung, sich in der Hoffnung zu freuen, die der heilige Paulus an die Christen in Rom richtet (vgl. Röm 12,12), erfordert ganz konkrete Entscheidungen im täglichen Leben. Deshalb ermutige ich euch, einen Lebensstil zu wählen, der auf der Hoffnung gründet. Ich nenne ein Beispiel: In den sozialen Medien scheint es einfacher zu sein, schlechte Nachrichten zu verbreiten als hoffnungsvolle Nachrichten. Deshalb mache ich euch einen konkreten Vorschlag: Versucht, jeden Tag ein Wort der Hoffnung zu teilen. Werdet zu Säleuten der Hoffnung im Leben eurer Freunde und all jener, die euch umgeben. Denn „die Hoffnung ist demütig und sie ist eine Tugend, an der man – sagen wir es so – jeden Tag arbeiten muss [...].
Es ist notwendig, sich jeden Tag daran zu erinnern, dass wir ein Unterpfand besitzen, den Heiligen Geist, der in uns durch kleine Dinge wirkt."[3]
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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[1] Katechese, 20. Mai 2020.
[2] Benedikt XVI.: Enzyklika Spe Salvi, 32.
[3] Morgenmeditation, 29. Oktober 2019.
Bei der Abschlussmesse des Weltjugendtags in Köln am Sonntag, 21. August 2005, auf dem Marienfeld hielt Papst Benedikt XVI. eine Predigt über das Geheimnis der Eucharistie. Was es bedeutet, Jesus unter der Gestalt des Brotes anzubeten, erklärte er mit den Worten: „Das lateinische Wort für Anbetung heißt ,ad-oratio‘ – Berührung von Mund zu Mund, Kuss, Umarmung und so im tiefsten Liebe.“ Wie in der heiligen Kommunion gehe es auch bei der Anbetung um „Vereinigung“. Ein kurzer Auszug.
Von Papst Benedikt XVI.
Anbetung wird Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im Ganzen übergreifen, dass seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der Welt werde. Ich finde diesen neuen Schritt, den das Abendmahl uns geschenkt hat, sehr schön angedeutet im Unterschied zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort für Anbetung. Das griechische Wort heißt „proskynesis“. Es bedeutet den Gestus der Unterwerfung, die Anerkennung Gottes als unseren wahren Maßstab, dessen Weisung wir folgen. Es bedeutet, dass Freiheit nicht bedeutet, sich auszuleben und für autonom zu halten, sondern sich nach dem Maß der Wahrheit und des Guten zu richten und so selbst wahr und gut zu werden. Dieser Gestus ist notwendig, auch wenn unser Freiheitsstreben ihm zunächst entgegensteht. Aber uns zueignen können wir ihn erst ganz in der zweiten Stufe, die sich im Abendmahl eröffnet. Das lateinische Wort für Anbetung heißt „ad-oratio“ – Berührung von Mund zu Mund, Kuss, Umarmung und so im tiefsten Liebe. Aus Unterwerfung wird Einung, weil der, dem wir uns unterwerfen, die Liebe ist. So wird Unterwerfung sinnvoll, weil sie uns nicht Fremdes auferlegt, sondern uns freimacht zum Innersten unserer selbst.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Einige Überlegungen aus der Mongolei zum „Jahr des Gebetes“
Giorgio Kardinal Marengo IMC (geb. 1974) gehört zur Ordensgemeinschaft der Consolata-Missionare. Am 2. April 2020 ernannte ihn Papst Franziskus zum Apostolischen Präfekten von Ulaanbaatar in der Mongolei. An der Päpstlichen Universität Urbaniana wurde der italienische Ordensgeistliche 2006 in Missiologie promoviert. Neben seinen Studien war er bereits seit seiner Priesterweihe im Jahr 2001 als Missionar in der Mongolei tätig. Im Mai 2022 wurde er zum Kardinal erhoben und im Oktober 2022 zum Mitglied des Dikasteriums für die Evangelisierung berufen. Im September 2023 durfte er als weltweit jüngster Kardinal Papst Franziskus in Ulaanbaatar willkommen heißen. In seinem Beitrag zum „Jahr des Gebetes“ lehnt er sich an sein Buch „Missiologische Überlegungen zur Evangelisierung in der Mongolei“ an, das 2018 auf Italienisch erschienen ist. Gebet darf nach Kardinal Marengo nicht nur als Mittel zur Unterstützung der Mission gesehen werden, vielmehr müsse es als wesentlicher Bestandteil der Evangelisierung selbst verstanden und gelebt werden.
Von Giorgio Kardinal Marengo, Mongolei
Das „Jahr des Gebetes“, das Papst Franziskus zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025 ausgerufen hat, lädt zur Reflexion über dieses zentrale Thema unseres Glaubens ein. Mit den folgenden Überlegungen will ich einen kleinen Beitrag dazu leisten.[1] Ich möchte von Gebet und Kontemplation im missionarischen Bereich sprechen. Dabei müssen wir einer wichtigen Entwicklung im „missiologischen“ Denken der letzten Jahrzehnte gerecht werden. Wir sind nämlich damit konfrontiert, dass sich im Verständnis dessen, was Mission ausmacht, eine tiefgreifende Einsicht herausgebildet hat, die den heutigen Missionsbegriff prägt. Die neue Sicht ist auch das Ergebnis eines geschichtlichen Weges, auf dem die Kirche von Missverständnissen und Fehlhaltungen gereinigt worden ist und eine tiefere Weisheit im Blick auf die christliche Mission erlangt hat. Es geht um die Gefahr eines praktischen Neo-Pelagianismus, von dem die missionarische Praxis oft geprägt war und wie er bis heute anzutreffen ist.
An die Gefahr des „Neo-Pelagianismus derer, die sich letztlich einzig auf die eigenen Kräfte verlassen“, hat Papst Franziskus – wenn auch aus einer etwas anderen Perspektive – in Nr. 94 von Evangelii gaudium erinnert. Er spricht von der Selbstbezogenheit und der prometheischen Anstrengung derjenigen, die meinen, dass alles von ihren eigenen Ressourcen abhängt. Im Apostolischen Schreiben Gaudete et exsultate wird der heutige Pelagianismus – zusammen mit dem Gnostizismus – als einer der beiden „Feinde der Heiligkeit“ bezeichnet (Nr. 35 und 47-62).[2] Das erneuerte Verständnis von Mission, das uns die Theologie heute vermittelt, warnt uns vor der Illusion, als handle es sich bei der Evangelisierung vor allem um ein „Tun“ von bestimmten Dingen. Stattdessen erinnert es an den Vorrang der Gnade, die in einem evangeliumsgemäßen Lebensstil Gestalt annimmt. Notwendigerweise spielen darin Gebet und Kontemplation eine entscheidende Rolle.
Missionarische Spiritualität
Es ist nichts Neues, dass die „missionarische Spiritualität“ seit einiger Zeit einen wichtigen Teil der zeitgenössischen missiologischen Reflexion ausmacht. Sie nimmt auch in den offiziellen Dokumenten der Kirche einen privilegierten Platz ein. Nach traditionellem Verständnis wird das Volk Gottes zum Beten aufgerufen, um die Evangelisierung „aus der Ferne“ zu unterstützen. Und das Gebet wird als integraler Bestandteil der Ausbildung und des Lebens derer angesehen, die sich der Mission widmen. Bestenfalls spricht man vom Gebet als einem Instrument in den Händen des Missionars, damit er dadurch persönlich gestärkt wird. Stillschweigend wird davon ausgegangen, dass dieses Gebet ein Element darstellt, das der eigentlichen Mission vorausgeht oder zumindest von ihr verschieden ist.
In der Vergangenheit folgte auf den humanistischen Optimismus, in dem die mystische Dimension der Mission noch stark ausgeprägt war (man denke an das missionarische Epos des frühen 20. Jahrhunderts), der Liberalismus, der die Spiritualität als überflüssig oder sogar als schädlich betrachtete (vor allem im Postkolonialismus und in der Zeit der großen Ideologien). Auf diesem Hintergrund muss die Tatsache gesehen werden, dass heute der Spiritualität in der Mission von neuem ein entscheidender Platz eingeräumt wird.
Zunehmend wird anerkannt, vor allem im asiatischen Kontext, dass die Dimension der Kontemplation und des Gebets nicht nur zu den Vorstufen der Evangelisierung gehört oder der Unterstützung der Mission dient (etwas, das niemand in Abrede stellt), sondern dass sie selbst einen wesentlichen Bestandteil der Verwirklichung des missionarischen Auftrags bildet. Es geht aber nicht wieder um eine monastische Form der Mission, wie sie zweifellos ihre eigene Würde und Geschichte hat, sondern darum – wenn man so sagen darf – die kontemplative Dimension der Mission innerhalb einer „aktiven“ apostolischen Unternehmung zu leben.
Eine Forderung der Mission selbst
Mission erfordert eine ganz besondere Empathie für die Menschen, zu denen man gesandt ist. Die Qualität der Beziehungen, die man dabei zu allen pflegen möchte, hängt vor allem von der geistlichen Bereitschaft ab, die innere Welt der Menschen, ihre Probleme, ihre Leiden und auch ihre mehr oder weniger expliziten Bitten um jenes „lebendige Wasser“ zu verstehen, das Asien in Gott zu finden sucht (vgl. Ecclesia in Asia, Nr. 18).[3] Zur Herzmitte des christlichen Glaubens gehören Vergebung und Barmherzigkeit, zuallererst in Form von Vergebung und Barmherzigkeit, die man selbst erfährt: Jeder Missionar, der auch nur ein bisschen ehrlich zu sich selbst ist, weiß, wie sehr er sich jeden Tag aufs Neue vom Herrn, der ihn „vor seinem Angesicht her“ (vgl. Lk 10,1) sendet, Liebe und Vergebung schenken lassen muss.
So wird das täglich gelebte Gebet zu einem Weg der Evangelisierung, zu einem praktischen Ausdruck wahrer Mission. Es handelt sich also um mehr, als nur um ein Gebet in verborgener Form und vor Beginn einer Tätigkeit, vielmehr muss es innerhalb der „auszuführenden Dinge“ erfolgen, das heißt auch öffentlich sichtbar werden – obwohl es natürlich diskret und geräuschlos bleibt. Den Völkern Asiens ist besonders klar, dass diejenigen, die im religiösen Bereich eine führende Rolle spielen (spirituelle Lehrer, Gurus, Priester, Verantwortliche für den Gottesdienst, Mönche usw.), in rechter Weise für ihren eigenen spirituellen Weg, also in ihrer eignen Person, Sorge tragen müssen...[4] Ecclesia in Asia bringt es in Nr. 23 deutlich zum Ausdruck: „Ein Feuer kann nur von etwas entzündet werden, das selbst brennt!“ Und etwas früher heißt es: „Die Kirche muss ständig auf eine noch tiefere Einheit mit dem bedacht sein, dessen Sendung sie weiterführt. Mission ist kontemplative Aktivität und aktive Kontemplation.“ Ähnlich äußerten sich in diesem Zusammenhang die asiatischen Bischöfe bei ihrer Versammlung im August 2009 in Manila: „Die Anbetung geht Hand in Hand mit der Mission. Echte Mission führt zur Anbetung. Authentische Anbetung führt zur Mission."[5]
Im missionarischen Leben ist die Hingabe an das Gebet, das Schöpfen aus dem Reichtum der christlichen Tradition, insbesondere die eucharistische Anbetung, auf einer tieferen Ebene ein der Mission selbst innewohnendes Bedürfnis. Es ist die Verkörperung des von der nachkonziliaren Missiologie so oft bekräftigten Grundsatzes, dass die Mission Gott gehört und wir seine schwachen Werkzeuge sind. Wo soll dieser Grundsatz wirklich sichtbar gemacht werden, wenn nicht gerade im Gebet, das öffentlich und nicht nur im Verborgenen gelebt wird? Ist es nicht vielleicht auch ein ausgeprägteres Merkmal des Ostens – beginnend mit dem christlichen Osten –, der spirituellen Dimension der Dinge Vorrang zu geben?
Mission und Liturgie
Was wir über das Gebet sagen können, bezieht sich nicht ausschließlich auf das Gebetsleben im persönlichen Bereich, sondern auch auf die Liturgie. Es ist wichtig, den missionarischen Wert der Liturgie sorgfältig im Blick zu haben, und zwar aus theologischer Sicht und nicht vom rein performativen Standpunkt aus, nach dem es primär um die Darstellung von Inhalten geht. Der alte Grundsatz „lex orandi, lex credendi“ (das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens) spricht Bände über die seit jeher bestehende Überzeugung in der Kirche, dass der Glaube von der Liturgie inspiriert wird, welche die gläubige Gemeinschaft aufnimmt, dass er von ihrem Inhalt genährt wird und sich seinerseits in einer Vielfalt von Formen ausdrückt, in denen sich unter anderem seine kulturellen Merkmale am stärksten manifestieren (Inkulturation). Es ist kein Zufall, dass die größten missionarischen Unternehmungen der Vergangenheit eine solide liturgische Grundlage hatten, und zwar in der großen Aufgabe der Übersetzung und Anpassung der euchologischen Traditionen, d.h. der priesterlichen Gebete und Texte zur Feier der Sakramente.[6] Die Liturgie ist also ein ständiger Verweis auf die Weitergabe des Glaubens, als Erfahrung des Hörens, des Empfangens und des Annehmens einer Wirklichkeit, die präexistent ist, uns also vorausgeht und schon existiert. Denn es handelt sich um das persönliche Eingreifen Gottes in die Geschichte, niedergelegt im inspirierten Wort, das verkündet, ausgelegt und gefeiert wird. Die Liturgie ist eine lebendige Schule des Glaubens, weil die Teilnahme an ihr nicht nur auf der intellektuellen (Verstand), sondern auch auf der emotionalen (Gefühle), sensorischen (Sinne) und taktilen (Berührung) Ebene erfolgt.
Die Glaubenserfahrung, die in der Liturgie vermittelt wird, geht über die symbolische und performative Sprache der Riten hinaus. Zu dieser Erfahrung fühlte sich die asiatische (und insbesondere die mongolische) Sensibilität immer sehr hingezogen. Auch der Westen ist der minimalistischen Liturgien überdrüssig geworden. Man verspürt dort seit einiger Zeit das Bedürfnis, die symbolischen und ästhetischen Dimensionen wiederzugewinnen, die eine bestimmte Art von Pastoraltheologie in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil zu sehr zugunsten einer sozialen Reduzierung der Liturgie und ihrer Räume geopfert hatte. Dieses liturgische Anliegen ist in der Mongolei umso deutlicher zu spüren, als dort ein anderer Weg beschritten wurde, auf dem die rituelle Sensibilität nie verloren gegangen ist.[7]
Diese enge Verbindung zwischen Liturgie und Mission wurde besonders von der orthodoxen Theologie immer hervorgehoben, auf die die katholische Missionswissenschaft mit Vorteil zurückgreifen konnte, um die theologisch-praktischen Konsequenzen dieses Ansatzes umfassender zum Ausdruck zu bringen. Die Betrachtung der Mission als „Liturgie nach der Liturgie"[8] und der Liturgie als Mittel der Mission[9] sind Einsichten, die es zu vertiefen gilt und die auf überraschende Weise der asiatischen Sensibilität entsprechen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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[1] In Anlehnung an G. MARENGO: Whispering the Gospel to the Heart of Mongolia. Missiological Reflection on Evangelization in Mongolia (Das Evangelium in das Herz der Mongolei flüstern. Missiologische Überlegungen zur Evangelisierung in der Mongolei), Ulaanbaatar, Mongolia 2022, 152-157.
[2] Knapp einen Monat vor der Veröffentlichung von Gaudete et Exsultate hat die Kongregation für die Glaubenslehre eine lehrmäßige Note über „einige Aspekte des christlichen Heils“ mit dem Titel Placuit Deo veröffentlicht, in der ausdrücklich auf dieselben Tendenzen (die als „Abweichungen“ betrachtet werden) hingewiesen wird, die die Akzeptanz der authentischen christlichen Heilslehre stark einschränken (insbesondere Nr. 3-4 und 11).
[3] Das Nachsynodale Apostolische Schreiben Ecclesia in Asia von Papst Johannes Paul II. wurde in Neu-Delhi, Indien, am 6. November des Jahres 1999, veröffentlicht und behandelt die Evangelisierung in Asien.
[4] Die Liste der Beispiele in diesem Zusammenhang ist sehr lang: Es genügt, an die Gestalt von Mahatma Gandhi zu erinnern, der die Ansicht vertrat, dass er, bevor er jemanden belehrte oder beriet, diese Lehre zuerst an sich selbst ausprobieren müsse.
[5] Das Abschlussdokument Living the Eucharist in Asia der IX. Vollversammlung der FABC (2009) ist zu finden unter: www.fabc.org/plenary%20assembly/FABC%20IX%20PA%20Final%20Document.pdf, Absatz E5.
[6] Ein herausragendes Beispiel ist der Fall von Kyrill und Methodius mit ihrer epischen Aufgabe, ein neues Alphabet zu schaffen, das den sprachlichen Bedürfnissen der slawischen Völker, die den Glauben angenommen hatten, entsprechen sollte.
[7] In der bereits zitierten Erklärung von Colombo, die im Anschluss an den 2008 in Sri Lanka abgehaltenen Kongress über die Liturgie veröffentlicht wurde, wird als eines der Ziele für die Förderung der Liturgie in Asien genannt, „den jahrhundertealten religiösen Eifer Asiens wiederzuerlangen und ihn in den Dienst der vom Zweiten Vatikanischen Konzil so sehr gewünschten liturgischen Erneuerung zu stellen“. Die Teilnehmer freuten sich über die Treue der „kleinen Herde“ der Christen auf diesem riesigen Kontinent zum Evangelium und zu den überlieferten Formen des Gottesdienstes, brachten aber auch die tiefe Sehnsucht nach einer Erneuerung des Geistes zum Ausdruck, die auf der immer dringlicheren Notwendigkeit beruht, das liturgische Leben in der Kirche zusammen mit dem kulturellen Genius der von ihnen vertretenen Gemeinschaften zu fördern“ (Nr. 1). In Nummer 15, welche die Vorschläge auflistet, die auf dem Kongress gemacht worden sind, lesen wir: „den Menschen die Gebetserfahrung durch Übersetzungen und die Verwendung einer kulturell bedeutsamen Symbolik näher zu bringen".
[8] Vgl. I. BRIA: The Liturgy after the Liturgy: Mission and Witness from an Orthodox Perspective (Die Liturgie nach der Liturgie: Mission und Zeugnis aus orthodoxer Sicht), World Council of Churches, Geneva 1996.
[9] Vgl. J.J. STAMOOLIS: Eastern Orthodox Mission Theology Today (Ostorthodoxe Missionstheologie heute), Wipf and Stock Publishers, Eugene (OR) 2001.
Grundlagen der Evangelisierung: Bekehrung, Gebet und Nächstenliebe
Dr. Dinh Anh Nhue Nguyen OFMConv (geb. 1970), Professor für Biblische Theologie, ist Generalsekretär der Päpstlichen Missionsunion (PMU) und Direktor des Internationalen Zentrums für missionarische Animation (CIAM) in Rom. Im Lichte der Botschaft von Papst Franziskus an die Päpstlichen Missionswerke 2022 zeigt er die „Relevanz der Seligen Pauline Marie Jaricot für die Mission der Evangelisierung heute“ auf. Als entscheidende Elemente sieht der Papst die Bekehrung, das Gebet und die Nächstenliebe. Der Beitrag ist der Festschrift „Christus verkünden"[1] anlässlich des 60. Geburtstags von Prof. Pater Dr. Karl Josef Wallner entnommen.
Von Dinh Anh Nhue Nguyen OFM
Einleitung
Ausgehend von den jüngsten Botschaften des Papstes zu den Weltmissions-Sonntagen und Ansprachen an die Päpstlichen Missionswerke (PMS) in den letzten zwei Jahren sollen in diesem Vortrag die wichtigsten Merkmale von Jaricots Spiritualität aufgezeigt werden, die für die Mission der Kirche und den Päpstlichen Missionswerken als relevant angesehen werden. Diese Punkte scheinen zudem entscheidend für eine erneuerte Missionsbewegung in Europa heute zu sein.
Ausgangspunkt ist die Botschaft von Papst Franziskus an die Päpstlichen Missionswerke von 2022. In dieser Botschaft nennt der Heilige Vater „drei Elemente“ im Leben der seligen Pauline Marie Jaricot, die dank des Wirkens des Heiligen Geistes wesentlich zur Verbreitung des Evangeliums in der Geschichte der Päpstlichen Missionswerke und der Weltkirche beigetragen haben. Diese Elemente sind die Bekehrung, das Gebet und die Nächstenliebe. Lassen Sie uns über jeden dieser grundlegenden Aspekte in der Spiritualität unserer neuen Seligen nachdenken, um aus ihr einige wichtige Anregungen für eine mögliche erneuerte Missionsbewegung im heutigen Europa zu gewinnen.
1. Die Wichtigkeit der Bekehrung
Wie wir wissen, war der Moment Pauline Jaricots Bekehrung von einer weltlichen und geistlich lauwarmen Christin zu einer ganz dem Herrn geweihten Frau von grundlegender Bedeutung für ihr Leben und ihre Sendung. Diese Tatsache wird in allen Biographien unserer Seligen erwähnt, auch in der jüngsten und am besten dokumentierten von Catherine Masson. Ich zitiere daher die zusammenfassenden Worte von Schwester Marie-Monique de Jésus in ihrer Einleitung zur französischen Ausgabe der Jugendschriften von Pauline Jaricot:
„Der entscheidende Anstoß, der ihre Orientierung endgültig festlegte, war eine Predigt, die sie an einem Sonntag in der Fastenzeit 1816 in der Kirche von Saint-Nizier, ihrer Pfarrgemeinde in Lyon, hörte. Der Prediger, Pater Würtz, predigte über die Eitelkeit. Pauline war gerührt. Sie bekehrt sich vollkommen und sagt sich endgültig von der Welt los. Sie beschließt, sich Gott hinzugeben, und erklärt den Menschen in ihrer Umgebung: Von nun an wird Jesus Christus alles für mich sein. Pauline war 17 Jahre alt. Ihr Leben wird nichts anderes sein als ein langer Aufstieg zu Gott.“
Es sollte hinzugefügt werden, dass die Bekehrung von Pauline Jaricot nicht nur eine einfache, innere Erfahrung in ihrer Seele war. Sie wurde durch eine Beichte „besiegelt“, die die junge Pauline nach der Messe bei Pater Würtz ablegte. Catherine Masson beschreibt diesen wichtigen Moment: „Als sie den Beichtstuhl verlässt, strahlt ihr Gesicht, obwohl es von Tränen überströmt ist.“ (Quand elle sort du confessionnal, son visage est radieux, quoique baigné de larmes).
Ich weiß nicht, ob die zukünftige Selige in diesem Moment tatsächlich weinte, es war aber sehr wahrscheinlich, denn sie selbst erwähnte später in ihren Schriften die Ermahnung Jesu an ihre Seele, sich nicht davor zu fürchten, im geistlichen Leben zu weinen. Auf jeden Fall kann man dadurch die konkrete Erfahrung des Herrn erahnen, die Pauline Jaricot durch die Zuwendung des Priesters und die Sündenvergebung zu neuem Leben erweckte.
Die künftige Selige erlebte den auferstandenen Herrn, der sie und jedes ihrer Worte und Handlungen für immer veränderte. Jede ihrer Missionen in den aufeinanderfolgenden Etappen ihres Lebens hing davon ab, ein Leben in enger Gemeinschaft mit Jesus, der sie immer wieder zu neuen Horizonten des Dienstes an den anderen hinführte. Unter diesem Gesichtspunkt kann die von Pauline gelebte Bekehrung sowohl als christlich als auch als missionarisch bezeichnet werden:
Christlich, weil sie sich zu Christus, dem Herrn, bekehrt hat. Sie hat dadurch in vollem Umfang die tiefe Bedeutung der Taufe erkannt, durch die sie der Welt gestorben ist, um das neue Leben in Christus zu leben.
Missionarisch, weil Pauline Jaricot von diesem Moment an in ständiger Gemeinschaft mit ihrem Jesus leben wird, der in ihr wirkt und so seine Mission in der Welt zur Rettung der Seelen fortsetzt.
Dies unterstreicht der Papst in seiner Botschaft an die Päpstlichen Missionswerke, indem er die missionarische Bekehrung als das erste geistliche Vermächtnis bezeichnet, das unsere Selige uns für heute hinterlassen hat:
„Zunächst die missionarische Bekehrung: Die Güte der Mission hängt von dem Weg ab, aus sich selbst herauszugehen, von dem Wunsch, das eigene Leben nicht auf sich selbst, sondern auf Jesus zu konzentrieren, auf Jesus, der gekommen ist, um zu dienen, und nicht, um bedient zu werden (vgl. Mk 10,45). In diesem Sinne verstand Pauline Jaricot ihre Existenz als Antwort auf Gottes mitfühlende und zärtliche Barmherzigkeit: Seit ihrer Jugend suchte sie die Identifikation mit ihrem Herrn, auch durch die Leiden, die sie durchmachte, mit dem Ziel, die Flamme ihrer Liebe in jedem Menschen zu entzünden. Hier liegt die Quelle der Mission: im Eifer eines Glaubens, der nicht zur Ruhe kommt und der durch die Bekehrung Tag für Tag zur Nachahmung wird, um die Barmherzigkeit Gottes auf die Straßen der Welt zu bringen.“
Eine wirksame persönliche Bekehrung zu Jesus wird durch die konkrete Begegnung mit ihm in der Beichte besiegelt. Sie ist der Beginn und die Grundlage eines wahren Glaubenslebens, in dem und für das die missionarische Dimension grundlegend ist. Denn wenn ein solcher Mensch einmal die Liebe Jesu erfahren hat, fühlt er sich einerseits gedrängt, immer in enger Gemeinschaft mit dem Herrn zu bleiben und andererseits diese Erfahrung mit anderen zu teilen. Es ist kein Zufall, dass der Papst in der Botschaft zum Weltmissionssonntag 2023 eine seiner Aussagen in Evangelii gaudium noch einmal unterstreicht:
„Dieses eilige Gehen (der beiden Emmausjünger), um die Freude über die Begegnung mit dem Herrn mit anderen zu teilen, zeigt: ,Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude‘ (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 1). Man kann dem auferstandenen Jesus nicht wirklich begegnen, ohne von dem Wunsch beseelt zu sein, dies allen zu erzählen. Die erste und wichtigste Ressource für die Mission sind daher diejenigen, die den auferstandenen Christus in der Heiligen Schrift und in der Eucharistie erkannt haben und die sein Feuer in ihren Herzen und sein Licht in ihren Augen tragen. Sie können Zeugnis geben von dem Leben, das niemals stirbt, selbst in den schwierigsten Situationen und den dunkelsten Momenten.“
Deswegen lässt sich erahnen, dass diese Emmaus-Erfahrung mit dem Auferstandenen genau unserer Seligen widerfuhr, die im Hören auf das Wort Gottes und in der Messe Christus begegnete. Sie wurde später tatsächlich eine der Großen, die erste und wichtigste Ressource für die Mission der Kirche. Auch heute noch möchte die Selige Pauline Jaricot vom Himmel aus uns alle auf der Erde einladen, den mutigen Schritt der Bekehrung zum Herrn zu tun, wie sie es getan hat.
2. Ein Leben im Gebet
Nach diesem bedeutsamen Tag der Bekehrung wurde das Leben von Pauline Jaricot ganz vom Gebet bestimmt. Dies geht aus ihren geistlichen Schriften hervor und wird von Gelehrten und ihren Biographen übereinstimmend festgestellt. Ein solches Gebetsleben bedeutet jedoch nicht nur, dass sie oft für verschiedene Bedürfnisse und insbesondere für die Mission betete. Es bedeutet vielmehr, dass sie ganz in die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott eingetaucht war. Das Gebetsleben ist die zweite Säule ihrer Spiritualität, die für jeden von uns Christen und missionarischen Jüngern sehr relevant ist. Zwei wichtige und ergänzende Aspekte sollten in diesem Zusammenhang erwähnt werden:
Erstens: Das Gebet hat notwendigerweise eine persönliche Dimension. Mit anderen Worten, ein solches Gebetsleben beruht auf der gewissenhaften Ausübung von Gebeten, die jeder im Laufe des Tages und in jeder Notlage spricht. Darüber hinaus sollte, wie bereits erwähnt, klargestellt werden, dass sich das Gebet nicht im Aufsagen verschiedener Gebetsformeln oder Texte verlieren sollte. Vielmehr handelt es sich um eine Geisteshaltung, die darauf abzielt, stets in Gemeinschaft mit dem Herrn zu sein. Dies geschieht zum einen durch das ständige Hören auf das göttliche Wort in der Heiligen Schrift und im eigenen Herzen, zum anderen durch die Hinwendung zu Gott in einem inneren Gespräch. Das ist genau das, was Pauline Jaricot erlebt hat. Wir können es die mystische Erfahrung im Leben unserer Seligen nennen. Die ständige persönliche Vereinigung mit Christus, „ihrem Bräutigam“, war ein grundlegendes und entscheidendes Element für jedes Handeln und jede Sendung von Pauline Jaricot. Aus dieser Gemeinschaft schöpfte sie stets die Inspiration, ein Werk zu beginnen, einschließlich der Gründung des Werkes für die Glaubensverbreitung, und sie gab ihr auch die Kraft und Ausdauer, trotz aller Widrigkeiten, durchzuhalten.
Das Beispiel der seligen Pauline kann uns viele Dinge lehren. Natürlich können wir nicht die mystischen Erfahrungen der Seligen im Gebet machen, aber wir sind alle eingeladen, unser persönliches Gebetsleben zu erneuern und zu intensivieren. Dies gilt besonders für diejenigen, die in verschiedenen Missionsaktivitäten an erster Front tätig sind, wie z.B. in den Päpstlichen Missionswerken. Ich möchte noch einmal betonen: „Wenn das Gebet die erste missionarische Handlung ist“, wie der Papst mehrmals in der letztjährigen Botschaft bekräftigt hat, dann genügt ein einmaliges Gebet für die Mission nicht; es ist ein Eintreten in ein Gespräch, ja in eine ständige intime Gemeinschaft mit Gott, indem man seinen Worten gefügig zuhört. Dies konkretisiert sich in verschiedenen Situationen, vor allem bei der Meditation der Heiligen Schrift, in der eucharistischen Anbetung sowie der gebührenden Hingabe im Augenblick der heiligen Kommunion, um in einer tiefen Vereinigung mit dem auferstandenen Jesus zu bleiben. Aus all diesen Gründen ist ein missionarischer Jünger ein „Mystiker in Aktion“, wie der Papst selbst in seiner jüngsten Botschaft zum Weltmissionssonntag 2023 betonte:
„Um Frucht zu bringen, müssen wir mit ihm verbunden bleiben (vgl. Joh 15,4-9). Und diese Verbindung wird durch das tägliche Gebet erreicht, besonders in der Anbetung, im stillen Verweilen in der Gegenwart des Herrn, der in der Eucharistie bei uns bleibt. Indem er diese Gemeinschaft mit Christus liebevoll pflegt, kann der missionarische Jünger zu einem Mystiker in Aktion werden. Möge sich unser Herz immer nach der Gesellschaft Jesu sehnen und die brennende Bitte der beiden Emmausjünger ausstoßen, besonders wenn es Abend wird: ,Bleibe bei uns, Herr!“ (vgl. Lk 24,29).
Das schöne Bild des „Mystikers in Aktion“ für den Missionar und die Missionarin erinnert uns an die bekannte Beschreibung des großen Theologen Karl Rahner über „die Christen der Zukunft“, die entweder Mystiker sein werden oder gar nicht. „Mystisch“ wird hier im Sinne eines Lebens verstanden, das in ständiger Gemeinschaft mit dem Herrn verwurzelt ist (und nicht im Sinne von wer weiß was für Fantasien und Visionen). Wenn die Getauften auch heute noch von Christus zur Mission gesendet sind, werden die Missionare der Zukunft also entweder Mystiker sein oder sie werden gar nicht mehr sein!
Wir sind also aufgerufen, durch unser Gebetsleben auch heute „Mystiker in Aktion“ zu werden, wie es unsere Selige war und wie es auch der selige Paolo Manna, Missionar und Gründer der heutigen Päpstlichen Missionsunion, war. Er wurde von vielen als „Kontemplativer in Aktion“ bezeichnet.
Zweitens lehrt uns die selige Pauline Jaricot neben dem persönlichen Gebetsleben auch die Bedeutung der gemeinschaftlichen Dimension des Gebets für das geistliche Leben und die Mission. Dies zeigt sich deutlich in ihrer brillanten Intuition, Gebets- und Unterstützungsgruppen für die Mission zu bilden. Was das Werk der Glaubensverbreitung betrifft, schaffte sie unsichtbare Ketten von betenden Menschen wie im Fall des Lebendigen Rosenkranzes. In diesem Zusammenhang sind die Worte des Papstes in der Botschaft an die Päpstlichen Missionswerke von Bedeutung:
„Es ist kein Zufall, dass Pauline dem Werk der Glaubensverbreitung den Lebendigen Rosenkranz zur Seite stellt, als wolle sie damit bekräftigen, dass die Mission mit dem Gebet beginnt und ohne dieses nicht vollendet werden kann (vgl. Apg 13,1-3). Ja, denn es ist der Geist des Herrn, der allen unseren guten Werken vorausgeht und sie ermöglicht: der Ursprung liegt immer in seiner Gnade. Andernfalls würde es sich bei der Mission um einen vergeblichen Lauf handeln.“
Dadurch wird die grundlegende Bedeutung des Gebetes für die Mission bestätigt, aber es lässt sich auch erahnen, dass ein solches Gebet notwendigerweise eine gemeinschaftliche Dimension hat, wie auch die Mission der Kirche selbst, die immer zusammen erfolgt. Warum können wir nicht die großartige Eingebung von Pauline Jaricot wieder aufgreifen und Gebetsgruppen oder -ketten für die Mission in unseren Ländern bilden?
3. Die Konkretheit der Nächstenliebe
Pauline Jaricot war eine Mystikerin, aber wirklich „in Aktion“. Wie Bischof Thierry Brac de la Perrière zu Recht hervorhebt, kann man im gesamten Leben unserer Seligen die mystische Erfahrung nicht vom sozialen und missionarischen Engagement trennen. Mit anderen Worten: Die großen Aktivitäten, die unsere Selige unternahm, entsprangen der Liebe zu Christus und ihrer ständigen Gemeinschaft mit ihm. Dies erklärt die Kreativität, die Entschlossenheit, aber auch die Demut und die Gelassenheit, mit der sie alles tat, oft inmitten von unzähligen Schwierigkeiten und Widrigkeiten. Dies zeigt sich besonders in der Gründung des Werkes der Glaubensverbreitung, das unter der Inspiration des Heiligen Geistes entstanden ist. Der Papst bestätigte es in der letztjährigen Botschaft mit Nachdruck:
„Derselbe Geist, der die Weltkirche leitet, inspiriert auch einfache Männer und Frauen für außergewöhnliche Missionen. So gründete eine junge Französin, Pauline Jaricot, vor genau 200 Jahren das Werk für die Glaubensverbreitung (...). Obwohl sie sich in einer ärmlichen Lage befand, nahm sie die Eingebung Gottes an, ein Netz von Gebeten und Kollekten für die Missionare aufzubauen, damit die Gläubigen aktiv an der Mission ,bis an die Grenzen der Erde‘ teilnehmen können. Aus dieser genialen Idee heraus entstand der Weltmissionssonntag, den wir jedes Jahr begehen und dessen Kollekte in allen Gemeinden für den weltweiten Fonds bestimmt ist, mit dem der Papst die missionarische Tätigkeit unterstützt.“
Es war gerade die persönliche Lebenserfahrung mit Christus, die Pauline Jaricot in ihrer Liebe zu den Menschen, insbesondere zu den Missionaren der Kirche in fernen Ländern, sehr konkret werden ließ.
Und schließlich die Konkretheit der Nächstenliebe: Zusammen mit dem Gebetsnetzwerk hat Pauline eine umfangreiche und originelle Spendensammlung ins Leben gerufen und sie mit Informationen über das Leben und die Tätigkeit der Missionare verbunden. Die Gaben so vieler bescheidener Menschen waren für die Entwicklung der Missionen von großer Bedeutung.
Wenn Pauline Jaricot von dieser originellen Form des Gebens und der Nächstenliebe spricht, dann ist damit die Bildung von Gruppen von je zehn Personen gemeint, die regelmäßig für die Missionen der Kirche in der ganzen Welt beten und Geld spenden. Wenn es stimmt, dass nur die Liebe schöpferisch ist, wie der heilige Maximilian Kolbe betonte, dann entsprang diese konkrete Kreativität von Pauline Jaricot genau in ihrem Herzen voller Liebe zu Gott, zu Christus und zu allen Menschen. Deshalb sind wir jetzt aufgerufen, in den Wirkungskreis dieser Liebe einzutreten, in der unsere Selige gelebt hat, um uns wie sie inspirieren zu lassen, die missionarische Bewegung, die sie in der Konkretheit der Nächstenliebe begonnen hat, fortzusetzen, ja immer mehr zu entwickeln.
Wir dürfen nie vergessen, dass die Grundlage von allem immer die Nächstenliebe sein wird, besonders von Jesus und für Jesus. In diesem Zusammenhang betont Papst Franziskus in seiner Botschaft für den Weltmissionssonntag 2023 folgendes:
„Wie der Apostel Paulus sagt, zieht uns die Liebe Christi in ihren Bann und drängt uns (vgl. 2 Kor 5,14). Hier geht es um die doppelte Liebe: die Liebe Christi zu uns, die unsere Liebe zu ihm hervorruft, inspiriert und anfacht. Und es ist diese Liebe, die die nach draußen gehende Kirche immer jung hält, mit all ihren Gliedern in der Mission, um das Evangelium Christi zu verkünden, in der Überzeugung, dass er ,für alle gestorben (ist) damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde‘ (V.15).
Alle können zu dieser Missionsbewegung beitragen: mit Gebet und Tat, mit den Opfergaben des Geldes und des Leidens, mit dem eigenen Zeugnis. Die Päpstlichen Missionswerke sind das bevorzugte Instrument, um diese missionarische Zusammenarbeit auf geistlicher und materieller Ebene zu fördern. Deshalb ist die Kollekte des Weltmissionssonntags für das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung bestimmt.“
Abschluss
In Dankbarkeit gegenüber dem Heiligen Vater Franziskus für diese positiven Anregungen für die Päpstlichen Missionswerke und insbesondere für das Werk der Glaubensverbreitung, die von der seligen Pauline Jaricot gegründet wurde, schließe ich meine Betrachtung mit den Worten des Papstes aus seiner letztjährigen Botschaft an die Generalversammlung der Päpstlichen Missionswerke in Lyon:
„Pauline Jaricot liebte es zu sagen, dass die Kirche von Natur aus missionarisch ist (vgl. Ad gentes, 2) und dass jeder Getaufte daher eine Mission hat, oder besser gesagt, eine Mission ist. Zu diesem Bewusstsein beizutragen, ist der wichtigste Dienst der Päpstlichen Missionswerke, einen Dienst, den sie mit dem Papst und im Namen des Papstes erfüllen. Diese Verbindung zwischen den Päpstlichen Missionswerken und dem Petrusamt, das vor 100 Jahren geschaffen wurde, drückt sich in einem konkreten Dienst an den Bischöfen, den Kirchen und dem ganzen Volk Gottes aus. Gleichzeitig ist es nach dem Konzil (vgl. Ad gentes, 38) ihre Aufgabe, den Bischöfen zu helfen, jede Kirche für die Horizonte der Gesamtkirche zu öffnen.“
Mit Blick auf die drei Schlüsselelemente der missionarischen Spiritualität von Pauline Jaricot, nämlich Bekehrung, Gebet und Nächstenliebe, beten wir:
Selige Pauline Jaricot, bitte für uns! Seliger Pater Paolo Manna, bitte für uns! Alle heiligen und seligen Missionare der Kirche, bittet für uns! Amen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
[1] Maximilian Heim / Wolfgang Buchmüller / Gabriela Wozniak (Hg.): Christus verkünden – Zum missionarischen Charakter des Evangeliums. Festschrift für Karl Josef Wallner – „Geht in alle Welt...“ ist ein klarer Auftrag an uns alle. Ist der Begriff „Mission“ aber überholt? Wie und wovon lebt die Mission heute? Anlässlich des 60. Geburtstags von Prof. Pater Dr. Karl Wallner, dem Gründungsrektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz und Nationaldirektor von Missio Österreich, beleuchten renommierte Persönlichkeiten aus Theologie, Kirche und Gesellschaft den Begriff der Mission aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Festschrift verbindet wertvolle Glaubenszeugnisse mit theologischer Reflexion und zeigt, wie die Mission der Kirche unter dem Wirken Christi heute verstanden wird. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2024, Hardcover, 384 Seiten, ISBN 978-3-7917-3502-3, Euro 45,00 (D), Euro 46,30 (A) – www.verlag-pustet.de
Prof. Pater Dr. Karl Wallner ist Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich. Es war mehr als naheliegend, dass er der Seligsprechung von Pauline Marie Jaricot am 22. Mai 2022 größte Aufmerksamkeit widmete. Gehen doch auf ihr Lebenswerk die Päpstlichen Missionswerke sowie die Feier des Weltmissionssonntags zurück. Zum Buch von Schwester Marcellina Nickl über das Leben der sel. Pauline Marie Jaricot, das 2024 unter dem Titel „Die Welt für Gott erobern"[1] erschienen ist, verfasste er das Vorwort. Nachfolgend einige Auszüge.
Von Karl Wallner OCist
Unsere Welt wird von vielen Dämonen geplagt, denn wir stolpern von einer Krise in die nächste. Und ein Dämon hat sich auch auf die Christenheit gestürzt. Er trägt den Namen „Entmutigung“! Kein Wunder, die Kirche in Europa schrumpft dramatisch schnell, die Christlichkeit verdunstet, die Kirche wird zu einer Marginalie. „Es macht derzeit keinen Spaß, katholisch zu sein“, sagen selbst treue Kirchgänger und fühlen sich wie „das letzte Aufgebot“. Da nützt es auch wenig, dass Papst Franziskus fast alle seine Schreiben mit motivierenden Begriffen wie „Gaudium“ (helle Freude) und „Laetitia“ (besonnene Freude) und Ähnlichem beginnen lässt.
Wenn Sie auch vom Dämon „Entmutigung“ geplagt sind, dann kann ich Ihnen dieses Büchlein herzlich empfehlen. Die Frau, die hier vorgestellt wird, lebte in einer Zeit der totalen Resignation, wo der Untergang der Kirche in Frankreich besiegelt zu sein schien. Genau in dieser Situation hat sie 1822 im Alter von 23 Jahren einfach das getan, was ihr als junger Frau, die sich wenige Jahre zuvor in Jesus verliebt hatte, in den Sinn gekommen war. Sie hat getan, was sie konnte. Aus ihrer Idee und ihrem unermüdlichen Wirken ist etwas hervorgegangen, das heute die „Päpstlichen Missionswerke“ sind, die in 130 Ländern weltweit wirken, seit 1922 unter der Oberhoheit des Papstes selbst. Das Vorbild von Pauline Marie Jaricot, die 2022 in Lyon seliggesprochen wurde, ist ein wirksamer Exorzismus gegen den Dämon der Entmutigung.
Pauline Marie Jaricot war nicht Priester, sie war nicht Ordensfrau, sie war „einfach“ getauft und gefirmt. Also das Höchste, was man als Christ sein kann: denn Taufe und Firmung sind die fundamentalste Berufung, die es für einen Menschen gibt, alles andere – auch das sakramentale Priestertum – dient nur der Heiligung der Getauften. Als ihr Bruder Philéas Missionar werden und nach China gehen will, hat sie 1822 eine Idee: Sie erfindet ein System, wo jeder täglich ein Gesätzchen Rosenkranz für die Mission betet und wöchentlich einen Sous spendet. Und: Jeder muss 10 Weitere „werben“. Das ist der Ursprung der Päpstlichen Missionswerke vor 200 Jahren, 1822, durch die selige Pauline Marie Jaricot. Das Ganze wächst sehr rasch sehr stark an und begeistert die Franzosen für die Weltmission. Als Pauline am 9. Jänner 1962 stirbt, beten und spenden 2,4 Millionen Franzosen für die Weltmission.
Im Jahre 1922 sagt der weitsichtige Organisationspapst Pius XI.: Es ist schade, dass es Paulines Werk nur in Frankreich gibt. Er erhebt das französische „Werk der Glaubensverbreitung“ in den Rang eines „päpstlichen“ Werkes und globalisiert es gleichsam durch seine Autorität. Fortan gibt es die „Päpstlichen Missionswerke“ in jedem Land der Welt, wo die Kirche einigermaßen Freiheit hat.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
[1] Sr. Marcellina Nickl: Die Welt für Gott erobern. Das Leben der Seligen Pauline Marie Jaricot, Heiligenkreuz 2024, Softcover, 169 S., ISBN: 978-3-903602-73-1, Euro 14,90 – www.bebeverlag.at
Zur zentralen Bedeutung des Vorsehungsglaubens
Relevanz und Krise des Vorsehungsglaubens – darum geht es in einem vierten Beitrag der Artikelserie über die göttliche Vorsehung von Pfarrer Dr. Richard Kocher. Die ganze Bibel sei ein einziges Zeugnis der Führung Gottes, und zwar sowohl des einzelnen Menschen wie der großen Weltgeschichte. Mit dem Vorsehungsglauben steht und fällt nach Kocher das Christentum. Doch die modernen Zeitströmungen stünden einer solchen Weltauffassung diametral entgegen. Für einen liebenden Gott, der durch die Geschichte hindurch erlösend am Werk ist und die Welt auf ein letztes Ziel hin lenkt, bleibe immer weniger Raum. Aufgabe der Kirche sei es, in Theologie und Verkündigung vom Faktum der leitenden Vorsehung Gottes auszugehen, sich aber gleichzeitig den Herausforderungen der heutigen Zeit ernsthaft und aufrichtig zu stellen.
Von Richard Kocher
Die Vorsehung ist nicht nur in der Vorstellung „einfacher Menschen“, sondern auch aus theologischer Sicht so zentral, dass sie und der Gottesgedanke eine unauflösbare Einheit bilden. Es wäre, so der hl. Kirchenlehrer Ambrosius (339-397), höchste Grausamkeit, den Menschen zu erschaffen und ihn dann sich selbst zu überlassen. Ein Gott ohne Vorsehung würde nach Laktanz (christlicher Apologet, 250-325) jegliche Göttlichkeit verlieren; er wäre mit jemandem zu vergleichen, der für die Einrichtung eines Hauses die größte Sorge trägt, nicht aber für die Bewohner. Von Clemens von Alexandrien (frühchristlicher Kirchenschriftsteller, 150-215) wird die Vorsehung als derart bedeutend eingestuft, dass ihre Leugnung gleichbedeutend ist mit einer Negation der christlichen Glaubenslehre, ja der Existenz Gottes.
Die Relevanz des Vorsehungsglaubens kann deshalb wohl kaum hoch genug eingeschätzt werden. Dies soll anhand einiger Beobachtungen zur providentiellen Deutung christlicher Existenz, der Liturgie und biblisch-theologischer Reflexionen aufgezeigt werden. Ebenso muss aber auch auf unverkennbare Krisenzeichen eingegangen werden.
1. Die Bedeutsamkeit des Vorsehungsglaubens
Man spricht wieder von der Vorsehung. Im Zusammenhang mit den epochalen Umbrüchen und Veränderungen durch die Reformpolitik Gorbatschows beispielsweise ging man ganz neu auf sie ein. Bei der Jahreswende oder anderen ähnlichen markanten Daten, wie Geburtstagen oder Jubiläen, legt es sich nahe, auf sie zu rekurrieren. Jeder hat wahrscheinlich schon in seinem Leben die Erfahrung von Fügungen gemacht, die gar nicht spektakulärer Art sein müssen. Fragen folgender Art stellen sich oft: Warum begegnete man einem bestimmten Menschen, fiel einem dieses Buch in die Hand, das man gerade brauchte, war man wie bestellt da, um helfen zu können, obwohl nichts geplant war? Auch unser Sprachgebrauch weist in reicher Fülle auf die Fügungen der leitenden Vorsehung Gottes hin: „Der Mensch denkt, Gott lenkt“ (Spr 16,9). „Vertrau auf Gott und lass ihn walten. Er wird dich wunderbar erhalten.“ „Gott hat der Wege viele zu jedem seiner Ziele.“
In der Seelsorge
Das seelsorgliche Interesse an Fragen, die sich im Umfeld des Vorsehungsglaubens bewegen, ist groß. Es wird wohl kaum einen Seelsorger geben, der nicht mit Menschen zu tun gehabt hat, die ihm Fügungen ihres Lebens berichteten und anschließend mit der Frage aufwarteten, ob alles nur Zufall oder Einbildung sei oder ob nicht doch Gott seine Hand mit im Spiel gehabt habe. Vieles erscheint dem Glaubenden als eine gute Fügung: die Erfahrung einer großen Liebe, eine Errettung aus einer Gefahrensituation, eine positive Wendung im Berufsleben, die Genesung nach einer schweren Krankheit. Aus vielen Lebenszeugnissen geht hervor, dass Gott unmittelbar und schöpferisch am Werk gesehen wird. Das Wissen darum, dass Gott letztlich alles gut machen wird, kann den Menschen tragen. Wie viele haben in schwierigen Situationen ihres Lebens im Vertrauen auf den vorsehenden Gott nicht aufgegeben und dadurch die Kraft bekommen durchzuhalten! Der Vorsehungsglaube als persönliches Vertrauen ist für die Menschen immer eine Quelle von Ruhe und Trost gewesen.
In der Liturgie
Die Liturgie der Kirche mit ihren Liedern und Gebeten ist eine Fundgrube eigener Art. In den Psalmen und den von ihnen durchtränkten Lob- und Dank-, Vertrauens- und Bittliedern im Gotteslob wird mit Freude und Dankbarkeit die Erfahrung des Schutzes und der Regierung des allmächtigen und gütigen Schöpfers gepriesen. Die aus der Tradition hervorgeholten Fürbitten bezeugen mit einer geradezu brachialen Gläubigkeit den jetzt und hier helfenden und rettenden persönlichen Gott. Gebete für den Frieden, ja jedes Gebet überhaupt wäre sinnlos, wenn es kein machtvolles Handeln Gottes in der Welt gäbe. In der Trauungsliturgie wird die Leitung Gottes als Grund angegeben, der das Brautpaar zusammengeführt hat. Umgekehrt empfinden auch die meisten Brautleute die Art und Weise ihres ersten Kennenlernens und Zusammenfindens nicht als Zufall, sondern als eine Fügung Gottes. Bei Orationen für plötzlich Verstorbene oder kleine Kinder wird zum Ausdruck gebracht, dass man sich dem Ratschluss der Vorsehung fügt und nicht daran glaubt, dass blindes Schicksal oder Zufall am Werk war. In Votivmessen für Staat und Gesellschaft wird in den Orationen die Überzeugung ausgesprochen, dass Gott auf geheimnisvolle Weise die Geschicke der Welt lenkt und dass in seiner Hand die Herzen der Menschen sind.
In der Heiligen Schrift
Die Fürsorge Gottes für den Menschen ist in der Heiligen Schrift grundgelegt und dort aus jeder Seite ersichtlich. Die Geschichte der Erzväter enthält viele Beispiele der Leitung durch Gott. Die göttliche Führung ist beim Jahwisten sogar das Hauptthema seiner Theologie. Aus der Lebensbeschreibung des ägyptischen Josef geht exemplarisch hervor, dass Gott in der Lage ist, scheinbare Zufälligkeiten – wie das Passieren einer Karawane in Dotan, eine Begegnung mit einem königlichen Beamten im Gefängnis oder eine siebenjährige Dürrekatastrophe – zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzukomponieren. Man hat es mit Zufällen zu tun, aus der Sicht des Glaubens aber mit Segnungen und Führungen Gottes. „Gott ... hat mich vor euch hergeschickt“ (Gen 45,7) nach Ägypten, sagt Josef zu seinen Brüdern, obwohl er genau weiß, dass sie es waren, die ihn in die Sklaverei verkauft haben.
Dass der allmächtige Gott in einer besonderen und persönlichen Vorsehung sich der Belange des einzelnen Menschen annimmt, wie dies in den unübertreffbaren Bildern der Bergpredigt von den Lilien des Feldes und den Vögeln des Himmels zum Ausdruck kommt (vgl. Mt 6,26-29), ist eine überwältigende Botschaft. Eine das Individuelle und den Einzelnen betreffende providentia ist das Kernstück des Vorsehungsglaubens.
2. Die Krise des Vorsehungsglaubens
Obwohl dem Vorsehungsglauben eine große existentielle, liturgische und biblisch-theologische Relevanz zukommt, sind Krisenzeichen unverkennbar. Eine säkularisierte Sprache verrät, dass er kaum noch prägende Kraft hat.
Magische Praktiken
Verwiesen sei nur auf die folgenden Ausdrücke: Glückspilz, Sonntagskind, Hans im Glück, glücklicher Stern, Pechvogel, Glückssträhne... Nach Langemeyer übernehmen „Glück“ und „Pech“ in unserem Verstehen der Wirklichkeit die Funktion, die vormals „Fügung“ und „Schicksal“ innehatten. Magische bzw. abergläubische Praktiken (Talisman, Horoskope, Unglückszahlen und -zeichen ... ) treten bei nicht wenigen an die Stelle des Vertrauens zum persönlichen Schöpfergott.
Umwelt-Religion
Die Angst vor der Zukunft ist angesichts nicht weniger Bedrohungen und Zerstörungen der Umwelt sicher nicht unbegründet. Sie wäre aber nicht so groß und irrational aufgeladen, wenn Menschen an einen die Geschicke der Welt leitenden Gott glauben würden. Selbst viele Christen deuten ihr Leben nicht mehr von Gott her, weil ein vorsehender Gott, der Pläne des Heils für ihr Leben hat, ihnen nichts mehr sagt. Man muss sich deshalb fragen, ob nicht ein beachtlicher Riss klafft zwischen der lex orandi (Gesetz des Betens) und der lex credendi (Gesetz des Glaubens), denn das Bewusstsein, dass Gott mit seiner lenkenden Kraft in den Geschicken der Welt tätig ist, ist auch unter Christen kaum mehr vorhanden; eine deistische Grundeinstellung prägt das Denken vieler.
Existenz-Angst
Nicht zu übersehen ist auch die große Zahl jener, deren Glaube an eine gütige Vorsehung im Ansturm des Leides zusammengebrochen ist. Der Verlust des Vorsehungsglaubens hat für den Einzelnen freilich schlimme Folgen. Kurz vor seinem Tod schrieb David Friedrich Strauß (1808-1874): „Der Wegfall des Vorsehungsglaubens gehörte zu den empfindlichsten Einbußen, die mit der Lossagung vom christlichen Kirchenglauben verbunden sind. Man sieht sich in die ungeheure Weltmaschine mir ihren eisernen gezähnten Rädern ... hilflos hineingestellt, keinen Augenblick sicher, von einem Rad erfasst und zerrissen, von einem Hammer zermalmt und zerschmettert zu werden. Dieses Gefühl des Preisgegebenseins ist wirklich entsetzlich.“
3. Die Problematik der Vorsehungslehre im Horizont des neuzeitlichen Weltverständnisses
Es ist auf den ersten Blick wenig verständlich, warum das Lehrstück von der Vorsehung „gegenwärtig zu den gemiedenen und offenkundig uninteressant gewordenen Provinzen der christlichen Lehre gehört“ (Wilhelm Dantine, lutherischer Theologe, 1911-1981). Es gibt kaum neuere Arbeiten, die das Thema direkt angehen.
Pessimistische Weltsicht der modernen Existenzial-Philosophie
Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Zu den sowieso schon recht schwierigen theologischen Fragen bei der Vorsehungslehre selbst kommen noch Strömungen und Tendenzen der Zeit, die geradezu kontraproduktiv sind.
Einflussreiche Strömungen der modernen (Existential-) Philosophie erweisen sich als eine Art Gegenpart zu wesentlichen Punkten der Providentia-Lehre. Mit der Bestimmung des menschlichen Daseins als „Ekel“ (Jean-Paul Sartre, 1905-1980), „Angst“ (Martin Heidegger, 1889-1976) und „Scheitern“ (Karl Jaspers, 1883-1969) erscheint die Vorsehung mit ihrem Weltbild der Geborgenheit geradezu als ein Gegenentwurf zur vorherrschenden pessimistischen Weltsicht der Unsicherheit und Geworfenheit. Das Moment des Sinnlosen und nicht Einsehbaren erhält in einem existentialistischen Denkhorizont eine derartige Gewichtung, dass von vornherein jegliche Annäherung an eine zielgerichtet führende Vorsehung sich dem Verdacht auf Ideologie aussetzt.
Ausblendung der Schöpfung durch die Evolutionslehre
Beim Evolutionsparadigma werden eigene Vorstellungen und Modelle über Ursprung und Vollendung des Lebens und der Welt vorgelegt, die erheblich vom biblischen und lehramtlichen Verständnis von Schöpfung und Vorsehung differieren. Wenn sich die Frage nach dem Anfang der Welt in einem grauen Urnebel vor Jahrmilliarden auflöst, dann entschwindet der Schöpfungs- und mit ihm der Vorsehungsglaube. Die Hoffnung darauf, Natur und Geschichte allmählich doch noch in den Griff zu bekommen, hat durch die Gentechnologie mächtig Auftrieb bekommen. Der Mensch glaubt damit, den Schlüssel zur Sprache der Schöpfung gefunden zu haben. Er will wie Wagner in Goethes Faust „des Zufalls künftig lachen“, indem er in bisher nie gekannter Weise selbst die Rolle der Vorsehung übernimmt.
Profanisierung von Welt und Geschichte
Die Konstellationen haben sich zudem für die Lehre von der Vorsehung durch das neuzeitliche Natur-, Welt- und Menschenverständnis negativ verändert. Die Ränder der Welt waren früher sozusagen numinos eingesäumt. Der Übergang von der sichtbaren zur unsichtbaren Wirklichkeit erfolgte nahtlos. Wie wohl kaum zuvor in der Geschichte wird die Welt heute dagegen in ihrer Profanität erlebt. Vieles wird nicht mehr Gott und seinem Wirken zugeschrieben, sondern erscheint durch den Siegeszug der Naturwissenschaften in den letzten beiden Jahrhunderten ganz natürlich erklärbar ohne die Einschaltung eines metaphysischen Prinzips.
Technisch durchrationalisierte Welt
Die technisch-konstruktivistische Mentalität einer nur eindimensionalen Weltbetrachtung wird in dem Roman hom*o faber von Max Frisch treffend zum Ausdruck gebracht. Der „hom*o faber“ steht für den vom naturwissenschaftlichen Denken geprägten Menschen, der gegenüber dem, was man früher oft vorschnell als Fügung der Vorsehung betrachtet hat, misstrauisch und ablehnend geworden ist. Die Hauptperson des Romans, der Ingenieur Walter Faber, schreibt in sein Tagebuch: „Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt, mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Wieso Fügung?“ Er erlebt zwar eine „ganze Kette von Zufällen“, bleibt aber bei seinem Bekenntnis zur Stochastik: „Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genügt mir.“
Vielen stellt sich die Frage: Ist Gott angesichts einer technisch durchrationalisierten Welt, die immer mehr nur die Spuren des Menschen erkennen lässt, in der bisher gedachten Weise zuständig oder muss man sich vom „alten Gott“ verabschieden? Entsteht nicht für den Christengott aufgrund des modernen Verständnisses von Welt und Geschichte „Wohnungsnot“?
Ausblick
Von Theologie und Verkündigung wird zweifaches erwartet: Sie haben einerseits von der Erfahrung einer leitenden Vorsehung im Leben der Kirche und jedes einzelnen als Faktum auszugehen – trotz mancher Krisenzeichen – und müssen sich andererseits den Fragen und Herausforderungen der Zeit stellen, weil sie sonst Gefahr laufen, ihre Lehre von der Vorsehung abgehoben von der Wirklichkeit vorzutragen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
Die Ordensleute Alfred Delp, Lothar König und Augustin Rösch im Widerstand
Studiendirektor Jakob Knab erinnert an drei Jesuiten, welche sich der NS-Herrschaft entgegenstellt und aktiven Widerstand geleistet haben. Sie waren Ideengeber und Vordenker für engagierte Persönlichkeiten und Gruppen wie den „Kreisauer Kreis“. Knab weist auch auf Berührungspunkte und Verbindungen mit der „Weißen Rose“ hin. Es war vor allem die solide philosophische und theologische Ausbildung, welche den drei Mitgliedern der Gesellschaft Jesu den klaren Blick und die Fähigkeit verlieh, sich für einen Wandel einzusetzen und eine Neuordnung Deutschlands nach Hitler in den Blick zu nehmen. Sie versuchten auch den deutschen Bischöfen Anregungen für richtungsweisende Hirtenbriefe zu geben, stießen mit ihrem kritischen Gedankengut aber auf Ablehnung. Vor seiner Hinrichtung schrieb Alfred Delp: „Mein Verbrechen ist, dass ich an Deutschland glaubte, auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus.“
Von Jakob Knab
Seit 1940 fanden sich auf dem schlesischen Gut Kreisau widerständisch gesinnte Männer und Frauen zusammen. Mittelpunkt waren die beiden preußischen Adeligen Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf York von Wartenburg. Ziel des Kreisauer Kreises war es, Grundzüge einer Neuordnung nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft zu erarbeiten.
Verbindung der Jesuiten zum Kreisauer Kreis
Auf der ersten Tagung an Pfingsten 1942 sprach man über erziehungspolitische Reformvorstellungen. Bei der zweiten Tagung im Herbst 1942 ging es um Überlegungen zu einer Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsreform. Auf der dritten Tagung an Pfingsten 1943 wurden außenpolitische Zielsetzungen für die Zeit nach Hitler erörtert. Zusammen mit Augustin Rösch, der die jesuitischen Aktivitäten im Kreisauer Kreis leitete, und Alfred Delp, den Rösch als Vertreter des Ordens entsandt hatte, bildete Lothar König den „Münchner Zweig“ der Widerstandgruppe Kreisauer Kreis. Während Rösch ein Attentat auf Hitler entschieden ablehnte und im Sommer 1943 seinen Mitbrüdern die Weiterarbeit verbot, rechnete Helmuth James Graf von Moltke die beiden Patres Delp und König zu den Befürwortern eines Attentats.
Augustin Rösch SJ – tatkräftiger Provinzial in München
Augustin Rösch (11.05.1893 - 07.11.1961) wurde am Fest Christi Himmelfahrt 1893 in Schwandorf (Oberpfalz) in einer kinderreichen Familie geboren. Als „würdiger und geeigneter“ Zögling des Erzbischöflichen Knabenseminars in Freising war er empfänglich für die hohen Bildungsziele. Nach dem Abitur (1912) trat er als Novize in den Jesuitenorden ein. Prägend in seiner Lebensgeschichte war auch die Kriegserfahrung; dreimal verwundet und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet kehrte er von der Front heim. Er begann sein Studium am Ignatiuskolleg in Valkenburg (Niederlande), wo er 1925 zum Priester geweiht wurde. 1935 wurde er Provinzial der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten in München.
Vom NS-Regime gehasst
Mit der Machtübernahme der NSDAP drohte den Jesuiten die Aufhebung vor den anderen Ordensgemeinschaften. Schon beim Antrittsbesuch bekundete Erzbischof Faulhaber seine Solidarität: „Sie armer Pater Provinzial! Der Hass und die Feindschaft der Nationalsozialisten sind groß gegen die Gesellschaft Jesu.“ Hier begann eine vertraute Freundschaft, die in den Jahren wachsender Kirchenverfolgung anhielt. Rösch setzte sich bei der Gestapo beständig für verfolgte Ordensbrüder ein. Im Kreisauer Kreis prägte Rösch die Ausarbeitungen zu konfessionellen und kulturellen Themen mit. Die beiden Bischöfe Faulhaber (München) und Preysing (Berlin) waren über die Planungen im „Kreisauer Kreis“ im Bilde. Graf Moltke traf sich regelmäßig mit dem Bischof von Berlin.
Ein halbes Jahr untergetaucht
Nach dem gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 wurde nach Rösch gefahndet; es gelang ihm, sich zunächst dem Zugriff der Gestapo zu entziehen. Vorübergehend fand er Unterschlupf bei den Armen Schulschwestern im Kloster Moosen (Landkreis Erding) und dann auf dem nahen Einödhof Hofgiebing des Landwirts und Mesners Wolfgang Meier. Am 11. Januar 1945 umstellten Gestapo-Beamte sein Versteck und verhafteten ihn und seinen Beschützer Wolfgang Meier. Dessen Leben endete am 22. Februar 1945 im KZ Dachau.[1]
Landesdirektor der Caritas
Bei den Verhören wurde Rösch schwer misshandelt. Das Kriegsende konnte er im Berliner Gefängnis Lehrter Straße überleben, wo er kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee am 25. April 1945 freigelassen wurde. Nach dem Krieg war Rösch Landesdirektor der bayerischen Caritas. Er starb am 7. November 1961 in München und wurde auf dem Ordensfriedhof in Pullach beigesetzt.
Lothar König SJ – mutiger Vordenker im Widerstand
Lothar König (03.01.1906 - 05.05.1946) stammte aus Stuttgart. Schon im August 1914 fiel sein Vater Paul an der Front im Elsass. Voller Begeisterung und Tatkraft war Lothar beim „Bund Neudeutschland“ mit dabei. Nach dem Abitur 1924 ging er als Novize zu den Jesuiten, er studierte Philosophie und Theologie am Berchmanskolleg in Pullach sowie Naturwissenschaften an der Universität München. 1936 wurde er von Kardinal Faulhaber zum Priester geweiht.
Klostersturm des NS-Regimes
Ab Juni 1940 wurde das Berchmanskolleg als Hilfskrankenhaus genutzt, NSDAP und Wehrmacht quartierten den Großteil der Ordensleute aus. Lothar König konnte erreichen, dass eine Teilnutzung des Gebäudes durch die Jesuiten erhalten blieb. In den Kriegsjahren 1940 bis 1942 wurden durch die NS-Gewaltherrschaft mehr als 300 katholische Klöster und kirchliche Einrichtungen aufgehoben. Die Gebäude wurden beschlagnahmt, ihre Bewohner zumeist vertrieben, der Klosterbetrieb eingestellt. Der Klostersturm bildete einen Höhepunkt der Kirchenverfolgung durch die Nationalsozialisten.
Erarbeitung regimekritischer Texte
Im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“, der im Kriegsjahr 1941 gegründet wurde, arbeitete König gemeinsam mit Augustin Rösch an Textentwürfen für regimekritische Hirtenbriefe mit, die jedoch in der Regel von der Bischofskonferenz abgelehnt oder abgeschwächt wurden. Der Ordensausschuss sammelte auch Informationen über Verbrechen des NS-Regimes. So gelangte König in den Besitz von Totenlisten aus dem KZ Dachau der Jahre 1939 bis 1943, die er abschreiben und nach Rom bringen ließ. Der Adressat war der deutsche Jesuit Robert Leiber SJ, der persönliche Sekretär von Papst Pius XII.
Kurier des „Kreisauer Kreises“
Lothar König war ein couragiertes Mitglied der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“, für die er als Kurier tätig war. Daneben arbeitete er an Texten der Gruppe mit und sorgte für eine deutlichere Sprache und Handlungsanleitung. Er war der Überzeugung, dass die Kirchen sich auch jenseits der Seelsorge für Menschen und Menschenrechte einsetzen müssten. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde König wegen seines Kontakts zu Alfred Delp sowie zu den „Kreisauern“ steckbrieflich gesucht. Es gelang ihm aber unterzutauchen.
254 Tage im Untergrund
Nach der Verhaftung von Helmuth Graf Moltke am 19. Januar 1944 hielt Lothar König weiter über Peter Graf Yorck von Wartenburg Kontakt zu den Kreisauern. Über P. Franz von Tattenbach informierte er Alfred Delp über dessen drohende Verhaftung; sie erfolgte am 28. Juli 1944. In der zweiten Hälfte des August 1944 stießen die Verfolgungsbehörden auf die Beteiligung weiterer Jesuiten am Kreisauer Kreis. Provinzial Rösch befahl deshalb Lothar König, unterzutauchen. Am 19. August 1944 durchsuchte die Gestapo P. Königs Zimmer im Berchmanskolleg. Es gelang ihm freilich, kurz zuvor das Haus noch zu verlassen. P. König hielt sich zunächst in einer geheimen Unterkunft in der Nähe des Starnberger Sees auf.
In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 übersiedelte Lothar König heimlich zurück ins Berchmanskolleg, wo er sich 80 Tage lang im Kohlenkeller versteckt hielt. Auf einem Heuwagen versteckt brachte man ihn wenige Tage vor der Befreiung durch amerikanische Truppen (am 1. Mai 1945) nochmals in sein altes Versteck. Am 3. Mai kam er in das Berchmanskolleg zurück. In den 254 Tagen im Untergrund war seine lebensgefährliche Erkrankung wieder aufgebrochen. Er litt an einer Krebserkrankung zwischen Luftröhre und Herz. Schon im April 1942 war er in einem Krankenhaus strahlentherapeutisch behandelt worden. Im Untergrund konnte er aber nicht die nötige ärztliche Hilfe erhalten. An den Folgen der Krankheit verstarb Lothar König am 5. Mai 1946.
Alfred Delp SJ – unerschrockener Kämpfer für die Wahrheit
Alfred Delp (15.09.1907 - 02.02.1945) war Sohn eines protestantischen Vaters und einer katholischen Mutter in Mannheim. Im Jahr 1922 kam Alfred durch die Initiative der Mutter, die großen Wert darauf legte, dass Alfred im „richtigen“ katholischen Glauben erzogen wurde, in das Bischöfliche Konvikt nach Dieburg. In diesem Marienwallfahrtsort hatte Bischof von Ketteler 1869 ein Knabenkonvikt gegründet. Im März 1926 bestand er als Klassenbester das Abitur.
„Die Wahrheit wird euch frei machen“
Alfred Delp wurde Novize bei den Jesuiten. Während der Studienzeit war Karl Rahner sein Lateinlehrer. Am 24. Juni 1937 empfing er in München die Priesterweihe; sein Primizspruch lautete: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Er wurde Mitarbeiter bei den „Stimmen der Zeit“. Zudem übernahm er die Seelsorge in der kleinen Barockkirche St. Georg, einer Filiale der Pfarrei Heilig Blut in München-Bogenhausen.[2] Theodor Haecker kam gerne zu den Gottesdiensten, er gehörte zu den eifrigen Hörern von Pater Delps Predigten. Für Ende 1942 war eine geheime Begegnung zwischen Pater Alfred Delp und Professor Kurt Huber (Weiße Rose) geplant. Zu diesem Treffen kam es freilich nie. Am 6. Juni 1944, am Tag der Invasion in der Normandie, besuchte der unvorsichtige Pater Delp den Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg in dessen Bamberger Wohnung.
Verhaftung und Verurteilung
Delp war ein Protestant im Wortsinn. Aufgrund seines ausgeprägten Eigensinns wurde die feierliche Profess mehrfach verschoben und dann endlich auf den 15. August 1944 (Mariae Himmelfahrt) festgelegt. Doch dazu sollte es nicht kommen; denn am Morgen des 28. Juli 1944 wurde Delp nach der Feier der Heiligen Messe verhaftet. Am 7. August 1944 wurde Delp von München in das Gestapo-Gefängnis Berlin-Moabit überführt. Dort wurde er eine Woche später verschärften Verhören unterworfen. In seinem Notizbuch fand sich der Name des Hitler-Attentäters Graf Stauffenberg. So wurde er verdächtigt, an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein. Am 8. Dezember 1944 (Mariae Empfängnis) legte Delp in die Hände seines Mitbruders Franz von Tattenbach SJ in der Haftanstalt Berlin-Tegel seine letzten und feierlichen Gelübde ab.
Am wichtigsten ist die ungebrochene Treue
Wenige Tage vor seiner Hinrichtung am 2. Februar 1945 (Mariae Lichtmess) hielt Alfred Delp fest: „Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind. Mein Verbrechen ist, dass ich an Deutschland glaubte, auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus.“ Zu seinem Vermächtnis an die Menschheit gehören diese bewegenden Worte: „Brot ist wichtig, Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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[1] Georg Schwaiger/Wolfgang Meier, in: Helmut Moll (Hg.): Zeugen für Christus, Paderborn, 8. Auflage 2024, Bd. I, Seite 504-507.
[2] Anfang August 1951 trat Kaplan Joseph Ratzinger seinen Dienst in der Pfarrei Hl. Blut in München an. Dort prägte ihn die Begegnung mit dem gütigen und innerlich glühenden Pfarrer Max Blumschein (1884-1965): „Bis zu seinem letzten Atemzug hat er mit allen Fasern seiner Existenz priesterlich dienen wollen“ (J. Ratzinger: Aus meinem Leben. Erinnerungen, München 1998, S. 74).
Eröffnung des Seligsprechungsprozesses am 1. Mai 2024
Am Mittwoch, 1. Mai 2024, wurde von Kardinal Oscar Cantoni, dem zuständigen Ortsbischof, im Heiligtum Santissimo Crocifisso von Como auf Diözesanebene der Seligsprechungsprozess für Don Stefano Gobbi eröffnet. Bekannt geworden ist der italienische Priester durch das sog. „Blaue Buch“. Darin hielt er die Einsprechungen fest, die er nach eigenen Angaben zwischen 1973 und 1997 von der Gottesmutter empfing. Seine Sendung, die in Fatima begann, führte zur Entstehung der Marianischen Priesterbewegung. Es geht vor allem darum, die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens zu leben und den in Fatima angekündigten Triumph ihres Herzens vorzubereiten. An der Zeremonie, die mit einer Eucharistiefeier verbunden war, nahm auch der internationale Verantwortliche, Don Luca Pescatori, mit zahlreichen Priestern der Bewegung teil. Das „Blaue Buch“ hatte bereits 1998 von Bernardino Kardinal Echeverría das Imprimatur erhalten, der teilweise brisante Inhalt findet jedoch durch diesen Schritt eine besondere kirchliche Zustimmung. Nachfolgend die Predigt des Kardinals.
Von Oscar Kardinal Cantoni, Como
Mit Freude begrüße ich Sie alle, die Sie sich in diesem Heiligtum Santissimo Crocifisso versammelt haben, um der Barmherzigkeit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu danken, die uns den Diener Gottes Don Stefano Gobbi als Zeugen und Verkünder seiner Liebe geschenkt hat. Er hat die Marianische Priesterbewegung ins Leben gerufen und weise inspiriert. Durch die Marianischen Zönakel mit der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens, welche die Heiligung der Priester zum Ziel haben, hat sie sich rasch in der ganzen Welt ausgebreitet.
An unserer Feier nimmt Bischof Giovanni D'Ercole FDP [der emeritierte Bischof von Ascoli Piceno] teil, der die Person von Don Gobbi und sein Werk gekannt und geschätzt hat. Ich freue mich über die Anwesenheit einer so großen Zahl von Mitgliedern der Marianischen Priesterbewegung mit ihrem Vorsitzenden Don Luca Pescatori, in Vertretung der Priester und Bischöfe, die dieser Spiritualität anhängen, welche vor allem zu einer tiefgreifenden inneren Erneuerung einlädt.
Ich begrüße und danke den Mitgliedern des Tribunals für den Informativprozess über das Leben, die Tugenden und den Ruf der Heiligkeit des Dieners Gottes Stefano Gobbi, dem der Postulator, Rechtsanwalt Emilio Artiglieri, vorsteht. Heute Morgen haben wir an ihrer ersten Sitzung zur Eröffnung der Causa teilgenommen, für die wir einen glücklichen Ausgang erhoffen. Auch die kirchliche und zivile Gemeinschaft der Kleinstadt und des Vikariats, in dem Don Gobbi geboren wurde, ist zahlreich vertreten, nämlich von Dongo, dem Ort, an dem er die ersten Keime seiner priesterlichen Berufung hegte, beim Heiligtum Unserer Lieben Frau von den Tränen, das damals von den Minderbrüdern betreut wurde.
Heute freue ich mich zutiefst mit unserer ganzen heiligen Kirche von Como, die über das, was wir heute Morgen begonnen haben, in Jubel ausbricht, ein authentisches Zeichen der wirkenden und immer neuen Gegenwart des Heiligen Geistes. Wieder einmal wird die Mutter Kirche durch die Fruchtbarkeit derjenigen Kinder getröstet, die für ihr vollkommen evangeliumsgemäßes Leben bereits öffentliche Anerkennung erhalten haben, zur Erbauung des ganzen heiligen Gottesvolkes. Die Vitalität einer Kirche zeigt sich in der Tat in den Antworten, die ihre Kinder durch die Hingabe ihrer selbst geben, entsprechend der Berufung, die es ihnen erlaubt, die Taufgnade bestmöglich zum Blühen und Leuchten zu bringen.
Ich kann nicht umhin, an die Seligsprechung von Schwester Maria Laura Mainetti in Chiavenna im Jahr 2021 zu erinnern, auch an die Seligsprechung des aus Bellagio stammenden Teresio Olivelli, die im Jahr 2018 stattgefunden hat. Ich preise den Herrn auch für die Heiligsprechung von Bischof Gio-vanbattista Scalabrini im Jahr 2022, gebürtig aus Fino Mornasco, und für die jüngste Seligsprechung des Comboni-Paters Giuseppe Ambrosoli aus Ronago vergangenes Jahr. Der Reihe dieser unserer Brüder werden in naher Zukunft Bruder Giosuè Dei Cas, ein Comboni-Missionar aus Valdisotto, und der junge Giulio Rocca aus Isolaccia im Valtellina hinzugefügt, ebenso unser lieber Don Roberto Malgesini, ein Straßenpriester, Märtyrer der Nächstenliebe, der im Jahr 2020 von einem seiner Schützlinge getötet wurde.
Der Drache, der im Buch der Offenbarung beschrieben wird, kämpft auch heute noch mit aller Härte gegen die Freunde Gottes und versucht ständig, sie anzugreifen und zu vernichten, aber Gott ist stärker. Im Kampf gegen das Böse besiegt und vernichtet der auferstandene Christus die bösen Werke und erhöht alle, die in ihrem Leben Zeugnis für die Liebe, die Wahrheit und die Gerechtigkeit abgelegt haben.
Vertrauen wir Maria, unserer Mutter, all jene an, die dazu berufen sind, sich in den kommenden Monaten mit angemessenem und umsichtigem Urteilsvermögen in die Persönlichkeit von Don Stefano Gobbi und seine Botschaft zu vertiefen, damit er eines nicht allzu fernen Tages zur Schar der Seligen gezählt werden kann. In der Zwischenzeit beten wir alle, dass der Herr alle Priester beschütze und dass sie durch das mütterliche Herz Mariens sanftmütige und weise Hirten im Dienst des Volkes Gottes sein können.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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Der Beitrag von „Kirche in Not“ für die Weltkirche
Pater Anton Lässer ist seit Mai 2023 Kirchlicher Assistent des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ (ACN). Im deutschsprachigen Raum ist der Passionistenpater als Exerzitienleiter, Prediger sowie durch Radio- und Fernsehbeiträge bekannt. In einer Ansprache bei einem Begegnungstag mit Wohltätern im Januar 2024 hat er Bestandteile des Charismas von „Kirche in Not“ skizziert – Impulse, die für ein Leben in Treue zur Kirche und in Solidarität mit den bedrängten Christen fruchtbar sein können.
Von Anton Lässer CP
Das Charisma von „Kirche in Not“ kann, so erlebe ich das bei meinem Dienst, ein Beitrag oder eine Hilfe für die Weltkirche sein. Ich darf hinzufügen: auch für die Kirche in Deutschland. Ein paar Aspekte sollen dies verdeutlichen.
1947, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, begann der Prämonstratenser Pater Werenfried van Straaten in Belgien und den Niederlanden für die Millionen deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zu sammeln, also für die Kriegsgegner von einst. Not zu sehen, sich davon betreffen zu lassen und aktiv zu werden – das ist aus kirchlicher Sicht nicht nur ein soziales Tun. Es geht einher mit der klaren Verkündigung des Gottesreiches. Tu das Gute und DER Gute trägt Dich.
Die Liebe wecken
Wir brauchen einen Weg des Friedens, in der Welt und auch in der Kirche. In meiner Arbeit für „Kirche in Not“ habe ich entdeckt: Ich muss nicht Partei ergreifen für Konservative oder Progressive, für eine „Kirche von unten“ oder eine „Kirche von oben“. Ich möchte alle dabeihaben. Wir dürfen Brücke sein für die Liebe Gottes. Wir können die Menschen bei der Liebe „packen“, an ihre Liebe appellieren, ihre Liebe wecken. Wenn das Früchte gebracht hat, dürfen wir diese Werke der Liebe weitergeben an die Schwestern und Brüder, die in Not sind.
Ich bin der Überzeugung, dass dieses Tun auch für die Pfarreien hierzulande ein Weg der Einheit und des Friedens sein könnte. Lasst uns die Ärmel hochkrempeln und etwas Vernünftiges tun für die Christen, die heute unter widrigsten Umständen ihren Glauben bezeugen!
Eine zentrale Säule des Charismas von „Kirche in Not“ ist das Gebet. Beten ist, um es mit der heiligen Teresia von Avila zu sagen, Verweilen bei einem Freund, weil ich weiß, dass er mich liebt. Wer einen anderen liebt, will verstehen, was er denkt, wie er ist, was er tut. Wir können nicht sagen: Ich liebe Gott, wenn wir keine Ahnung haben, was er uns sagen möchte. Wir müssen beim Wort Gottes verweilen, Ihm zuhören. Ohne Gebet können wir nichts tun.
Keine Mission ohne Opfer
Ein dritter Aspekt des Charismas von „Kirche in Not“ ist das Opfer. Ich bin 25 Jahre Priester. Wenn mir jemand sagt: Es gibt Erfolg ohne Gebet und Opfer, dann glaube ich ihm kein Wort. Das ist nicht meine Erfahrung. Leben, christliches Leben, muss etwas von sich selbst geben. Jesus hat die Welt erlöst, indem er sich hat kreuzigen lassen. Wir Christen können doch nicht meinen, dass wir das Evangelium bringen können ohne Kreuzeserfahrung. Gebt etwas aus Eurem Leben für diejenigen, die in Not sind!
Für die Kirche Leid zu ertragen, das gehört dazu. Viele Menschen, die in Not sind, tragen gerade dadurch etwas bei zur Erlösungskraft der Kirche. So hat es schon der antike Kirchenschriftsteller Tertullian ausgedrückt: „Das Blut der Märtyrer ist der Same für neue Christen.“ Das gehört zum Erbgut der Kirche. Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von einem reinen „Wohlfühlglauben“. Das geht nicht in die Tiefe, nicht an den Kern dessen, was uns Christus vorgelebt und verkündet hat. „Kirche in Not“ ist da mittendrin: Wir werden Zeugen von viel Leid und Nöten. Aber wir dürfen das angehen in der Glaubensüberzeugung, dass es für einen Christen kein sinnloses Leid gibt und keinen sinnlosen Tod. Und das wollen wir auch bezeugen.
Zum Charisma von „Kirche in Not“ gehört die tätige Liebe. Es gibt keine Liebe, außer man tut sie. Als Pfarrer habe ich manchmal gesagt: Es braucht Menschen, die ganz einfach die Dinge tun, die in einer Gemeinde getan werden müssen. Das sind nicht nur die großen Geistesgaben, sondern die „ganz normalen“ Charismen. Und ich glaube, dass man das bei „Kirche in Not“ ganz gut leben kann.
Leidenschaft vor Organisation
Papst Franziskus hat in einer Ansprache an die Vertreter der Missionswerke gesagt, sie sollten „Mission mit Leidenschaft“ machen (vgl. Ansprache an die Teilnehmer an der Vollversammlung der Päpstlichen Missionswerke, 3. Juni 2023). Das müssen wir uns immer wieder zu Herzen nehmen: Wir können es organisatorisch perfekt machen. Aber wenn wir es ohne Leidenschaft für Gott machen, ist es für das Reich Gottes nichts wert. Ohne diese mystische Seite, ohne die Vergegenwärtigung des Geheimnisses Christi der Hingabe in Liebe, ist es wertlos. „Passione“: Dieses italienische Wort bedeutet nicht nur Leidenschaft für etwas haben, sondern auch Leiden und Leidensbereitschaft.
Wir müssen den Glauben weitergeben, wir müssen missionarisch sein. Jeder Getaufte ist Glied des mystischen Leibes Christi und trägt Verantwortung für den ganzen Leib. Es gibt zu viel Elend und Not in der Welt. Aber das größte Elend ist, wenn der Mensch seine tiefste Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe und Güte, die Gott uns in Jesus Christus schenkt, nicht stillen kann, weil er sie einfach nicht kennengelernt hat. „Die erste Armut der Völker ist, dass sie Gott nicht kennen“ (hl. Mutter Teresa).
Pastorale Ausrichtung
„Kirche in Not“ hat eine pastorale Ausrichtung. Manchmal ist es vielleicht einfacher, Spenden für humanitäre Zwecke zu sammeln. Aber das ist nicht unser hauptsächlicher Fokus. Wir zielen darauf ab, das Wort Gottes in der ganzen Welt zu verbreiten. Das gilt nicht nur in Richtung unserer Projektpartner. Auch unsere Wohltäter sehnen sich danach, dass wir das Reich Gottes bezeugen.
Das können wir, weil wir bei „Kirche in Not“ viele Projektpartner haben, die dieses Zeugnis für das Reich Gottes in ihrer ganzen Tiefe ablegen.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2024
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